"Nürnberg sauer": Die Burghart-Kontroverse im Dürer-Jahr 1971

Im Kontext der zahlreichen Aktivitäten zum 500. Geburtstag des Nürnberger Malergenies kam es vor 50 Jahren zu heftigen Diskussionen um den Künstler Anton (Toni) Burghart (1928 - 2008), die im Stadtarchiv umfassend dokumentiert sind. Dabei geben die Quellen Aufschluss über die Vielschichtigkeit der wirksamen personellen und sachlichen Faktoren sowie die überraschende Lösung der entstandenen Probleme.

Ausschnitt aus dem Leporello zur Ausstellung Nürnberg sauer (Stadtarchiv Nürnberg E 10/70 Nr. 63)

Reflexion statt Reisen

Der damals bereits arrivierte Maler und Grafiker, der für seine oft ironischen Bilder bekannt war (z.B. Dürer als Cockerspaniel), hatte mit sechs anderen Stipendiaten von den Faber-Castell-Künstler-Reisen 7000 DM erhalten, um an Lebensstationen des alten Meisters zu arbeiten und die Resultate in einer Ausstellung der Albrecht-Dürer-Gesellschaft zu präsentieren. Während seine Kollegen nach Aachen, Antwerpen oder Innsbruck fuhren, um dort zu malen und zu zeichnen, reichte Burghart ausschließlich Werke ein, die sich mit Nürnberg und Umgebung beschäftigten. In ihnen setzte er sich nicht mit Dürer auseinander, sondern blieb seinem auf markante Symbole verknappten Stil treu und thematisierte auch die jüngere Zeitgeschichte: Eine bedrohlich wie ein Zeppelin über der auf Luginsland, Kaiserstallung und Heidenturm reduzierten Burgsilhouette schwebende Zitrone erinnerte die Nürnberger an die längst nicht aufgearbeiteten Judenverfolgungen vom Mittelalter bis in die NS-Zeit. Unter dem Motto Nürnberg fällt auf Nürnberg zurück formte er die alliierten Bomben in Sinwelltürme um und verließ damit den bis dahin geltenden Opferkonsens, wonach die Zerstörung der Stadt unverdient und unbegründet gewesen sei. Als Kritik an wiederholten Hybris-Anfällen von deutscheste aller Städte bis Stadt der Reichsparteitage kann Burgharts Darstellung desselben Turms als Penis mit dem Titel Nürnbergs Größter verstanden werden. Zur Begründung seiner mangelnden Reiselust gab der Künstler gegenüber der Zeit an: Als repräsentativ empfand ich schließlich nur noch den Ort, an dem Dürer die meiste Zeit verbracht hat: Nürnberg [...]. In meiner Erinnerung ist das Zerschlagen Nürnbergs am 2. Januar 1945. Ohne Zweifel ist auch das eine Dürer-Landschaft: eine apokalyptische.

Konflikt und Kompromiss

Für die Albrecht-Dürer-Gesellschaft und ihren Vorsitzenden, Roland Graf von Faber-Castell, dem Burghart das satirische Acryl-Wasserfarbenbild Ein Stein bei Nürnberg widmete, war der Fall klar: Er - als einziger gebürtiger Nürnberger unter den Stipendiaten - hatte die Bedingungen der Ausschreibung nicht erfüllt und wurde deshalb disqualifiziert. Damit begab sich der Verein auf vermintes Terrain, denn Burghart dachte nicht daran, das Geld zurückzugeben, und bestand darauf, dass seine Bilder in der Ausstellung Mit Dürer unterwegs gezeigt werden, drohte sogar mit rechtlichen Schritten. Als seine Unterstützer öffentlich von Zensur sprachen und sich irritiert zeigten, dass sein Konkurrent Michael Mathias Prechtl (1926 - 2003) Mitglied der Jury und selbst Empfänger der Reiseförderung war, sah sich Kulturreferent Dr. Hermann Glaser (1928 - 2018) zum Eingreifen veranlasst, da sich die in der Tagespresse ausgetragene Debatte negativ auf das Image Nürnbergs auszuwirken drohte, das mit den Veranstaltungen im Jubiläumsjahr modernisiert werden sollte. Außerdem war die Stadt durch die von ihr gebildete Planungsgruppe Dürer-Jahr in den Skandal verwickelt, die bei der Realisierung der Ausstellung der ADG im Germanischen Nationalmuseum mitwirkte. Also lud er die Beteiligten zu einer Aussprache ins Rathaus ein und baute ihnen eine goldene Brücke, durch die niemand sein Gesicht verlor: Toni Burghart durfte die Summe behalten und bekam in der Städtischen Kunsthalle vom 10.9. bis 28.11.1971 eine eigene Präsentation namens Nürnberg sauer nach seinem Zitronenzeppelin-Bild, um der Öffentlichkeit Gelegenheit zur Information zu geben, wie es im Flyer zu ihr heißt. Die Terminierung muss für ihn ein kleiner Triumph gewesen sein, denn sie bedeutete zwei Tage medialen Vorsprung vor der Schau im GNM.

Kunst und Zeitgeschichte

Sicherlich war Burgharts Verhalten eine provokante Eulenspiegelei, doch die Ablehnung wäre wohl weniger schroff ausgefallen, wenn er Dürer-Motive nachempfunden und nicht auch 26 Jahre nach Ende des NS-Regimes noch wunde Punkte der Stadtgeschichte angesprochen hätte. Glasers Intervention war ein Zeichen für das ausgeprägte demokratische Denken der Kulturverwaltung. Eine planmäßige Aufarbeitung des Nationalsozialismus sollte allerdings erst mehr als ein Jahrzehnt später einsetzen und nach einem langwierigen Prozess 2001 zur Gründung des Dokumentationszentrums Reichsparteitagsgelände führen.

Quellen

Nachzulesen sind die Vorgänge um Burghart und seine Werke vor und hinter den Kulissen u.a. in den Archivbeständen C 73/I Referat IV Kulturwesen, E 10/201 Nachlass Hermann Glaser und E 10/70 Nachlass Gerhard Mammel (1919 - 1989), damals Leiter der Volkshochschule und Mitglied der Albrecht-Dürer-Gesellschaft.

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