Der Mitbegründer des Nürnberger Vereins für Künstler und Kulturfreunde – heute Albrecht Dürer Gesellschaft – Johann Philipp Rösler war bis vor kurzem eine im Dunkeln der Geschichte verschollene Persönlichkeit. Als er am 13. Oktober 1792 zusammen mit dem Kunsthändler Johann Friedrich Frauenholz und dem Arzt Johann Benjamin Erhard im Hause seines Vaters an der Fleischbrücke die Gründungsversammlung des Vereins abhielt, war er bereits als Portraitmaler in Nürnberg tätig, doch dann verwischten sich seine Spuren, und man vermutete sogar, wie im Taschenbuch von Nürnberg von 1819, er sei in der Blüte seines Lebens, oder leider in Krakau verstorben, wie Carl Mainberger 1838 schrieb.
Als Ende des Jahres 2019 im Stadtarchiv Nürnberg ein Karton mit dem Nachlass der Familie Rösler aus Wien als Schenkung durch das SOS-Kinderdorf Österreich eintraf, stellte sich heraus, dass hier etliche Schätze zur Familiengeschichte Rösler zu entdecken waren. Einer dieser Glücksfälle war die eigenhändig niedergeschriebene Lebenserinnerung des Johann Philipp Rösler.
Diese Memoiren geben dem Leser einen Einblick in das Leben eines jungen Mannes, der in die Welt hinauszog, um sein Glück zu suchen. Es führte ihn weit weg von seiner Familie und von der ihm bekannten Welt in einen heute nur noch als geschichtlicher Ort existenten Teil Osteuropas: nach Wolhynien. Johann Philipp Rösler, Sohn des Kürschners Johann Valentin Rösler aus Nürnberg und der Clara Sophia Scheurl aus Fürth, kam am 3. Mai 1770 in Nürnberg, als einziger unter den insgesamt acht Geschwistern, mit verdrehten Füßen auf die Welt. Vier Kinder des Kürschnerehepaares verstarben früh, so dass außer Johann Philipp nur die Schwestern Margaretha (1769) und Katharina (1776) sowie der Bruder Heinrich Jacob (*1782) das Erwachsenenalter erreichten.
Johann Philipp erhielt Zeichenunterricht bei Johann Eberhard Ihle und schloss 1789 seine Lehre bei dem Freskomaler Johann Philipp Bayer ab bevor er sich 1793 entschied, sein Elternhaus zu verlassen, um sein Auskommen in der Fremde zu suchen. Zunächst ging er nach Dresden, nach Wien und wieder nach Dresden, wo er sich mit Zeichenunterricht seinen Lebensunterhalt mehr schlecht als recht verdienen konnte. Doch dann machte ihm 1798 der in Dresden weilende polnische Fürst Stanislaus Pavel Jablonowski (1762-1822) das Angebot, welches sein Lebensweg für immer verändern sollte: Rösler sollte den Fürsten als Maler und Zeichenlehrer nach Polen begleiten.
Als er am 6. August 1798 von Dresden Richtung Osten aufbrach, vermutete der junge Rösler wohl nicht, dass er nie wieder in seine Heimat zurückkehren sollte. Seine Reisebegleiter waren ein katholischer Priester aus Frankreich und ein Kammermädchen der Fürstin. Der polnische Adel requirierte seine Bediensteten gerne in Deutschland, Frankreich oder Italien. Die einmonatige Reise führte ihn über das prachtvolle Rittergut Racot des Fürsten Anton Jablonowski (seit 1799 Eigentum des Prinzen Wilhelm I. von Oranien), Warschau und Pulawy (hier Aufenthalt bei der Familie Czartoryski), sowie den Stammsitz der Familie Walewski in Tuczyn, zu seinem neuen Aufenthaltsort in Annopol, dem Sitz der Familie Jablonowski. Hier bestand seine Zeichenschule aus drei jungen Fräulein: Dorothea Stecka, Cecilia Potocka und Monika Dutkiewicz, die er drei Jahre lang unterrichtete, bevor er für eine Auftragsarbeit zum Woiwoden Michael Walewski, dem Vater der Fürstin Theodora Jablonowska geb. Walewska, nach Tuczyn berufen wurde.
Als jedoch 1802 die Auftragsarbeit an dem Familienportrait beendet war, das er laut eigener Aussage „mehr mit Tränen als mit Öl“ vollendete, da die Betrachter die dargestellten Personen als gleichaussehend bezeichneten, begann für Johann Philipp Rösler eine jahrelange Odyssee und er unterbrach jeglichen Kontakt zu seiner Familie in Nürnberg, so dass kaum verwunderlich ist, wenn er als verstorben galt.
Von den prächtigen Sitzen der Fürsten Jablonowski und Walewski mit ihren kulturellen und gesellschaftlichen Veranstaltungen fand sich Rösler in einer ganz anderen Welt wieder: in der der deutschen Kolonisten in den kleinen ostpolnischen Ortschaften. Verschiedene Gemeindevorsteher, aber vor allem die evangelischen Geistlichen, nahmen Rösler auf. Er versuchte sich wechselweise als Sonntags-, Zeichen- und Deutschlehrer in Korzec, Ostrog und Dubno. Durch Krankheiten und große Geldnot geplagt, musste er immer wieder bei deutschen und jüdischen Siedler Zuflucht suchen, um seine Existenz zu sichern. Letztendlich wandte er sich, mit der Bitte um Unterstützung, an die Gräfin Jablonowska, die ihm eine Anstellung bei dem Grafen Stanislaw Gregor Worcell und seiner Ehefrau Margaretha geb. Tepper de Ferguson in Stepan verschaffte, wo er den Sohn (und späteren polnischen Politiker und Revolutionär) Stanislaw Gabriel Worcell (1799-1857) drei Jahre lang unterrichtete. Als er 1810 sein Arbeitsverhältnis kündigte und nach Luzk übersiedelte, begannen wieder die finanziellen Sorgen. Die Feuersbrunst 1811 in Luzk und der Durchmarsch der französischen und russischen Truppen bedrohten zusätzlich seine ohnehin prekäre Lage.
Auszug aus dem Tagebuch von Johann Philipp Rösler (Stadtarchiv Nürnberg E 10/207 Nr. 1)
Die Wendung kam im Jahr 1814, als er eine Anstellung als Zeichenlehrer in Iwanczyce bei der Familie Bystry erhielt. Er sollte diesen Ort bis zu seinem Tod 1840 nie wieder verlassen.
Die heute völlig in Vergessenheit geratene und fast untergegangene Ortschaft Iwanczyce war seit der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts Eigentum der Familie Bystry. Romuald Joachim Bystry und seine Ehefrau Anna geb. Rakowski bauten den Ort zu ihrem Stammsitz aus und beauftragten in den Jahren 1801-1804 den aus Irland stammenden und in Polen zu Ruhm gelangten Landschaftsarchitekten Dionizy Mikler (eigentl. Denis McClair), ihre Gartenanlage zu gestalten. Als Kunstliebhaber sammelten die Bystrys in Iwanczyce eine Vielzahl an Kunstwerken und Johann Philipp Rösler sollte die Tochter des Hauses Magdalena ausbilden. Diese beschäftigte sogar nach ihrer Eheschließung mit Casimir Cieciszewski 1833 ihren ehemaligen Zeichenlehrer weiter in ihrem Haushalt. Die Jahre waren geprägt von Einsamkeit und Stille, denn die Familie unternahm ausgedehnte Reisen im In- und Ausland. Im Jahre 1838 bekam er nochmals eine einmalige Gelegenheit, selbst deutsche Siedler zu unterstützen, die eine Kolonie gründen wollten.
Geprägt von religiöser Erkenntnissuche und frommer Schicksalsergebenheit verfasste Johann Philipp Rösler 1840, kurz vor seinem Tod im Mai desselben Jahres, seine Memoiren und hinterließ der Nachwelt nicht nur eine bewegende Autobiographie, sondern ein einzigartiges Zeugnis einer längst untergegangenen Welt: einerseits die der polnischen Aristokratie am Scheideweg zwischen Glorie und Ruin des polnischen Königreiches und andererseits die der deutschen Kolonisten aus Wolhynien.