Gekommen, um zu bleiben: Nürnbergs türkische 'Gastarbeiter' im Porträt. Teil 2: Hadi Nämberch! Das Ehepaar C.

Am 30. Oktober jährt sich zum 60. Mal der Abschluss des Anwerbeabkommens zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Türkei. Aus diesem Anlass veröffentlicht das Stadtarchiv Nürnberg an dieser Stelle in loser Folge einige Kurzporträts von Menschen, deren Leben durch dieses Abkommen eine entscheidende Wendung erfahren hat: Sie alle, von denen wir berichten, sind aus der Türkei nach Deutschland gekommen, sind geblieben - und die meisten von ihnen sind hier auch heimisch geworden. Sie sind türkische Nürnberger.

Ayla C. wurde 1945 in Konya Ereğli in Mittelanatolien geboren. Sie wuchs zusammen mit ihrem Bruder als Tochter eines kleinen Beamten auf, in der Geborgenheit der Großfamilie, die ringsum wohnte. Die Mutter war zunächst auch im Staatsdienst tätig, zog sich später aber aus dem Arbeitsleben zurück und wurde Hausfrau. Ayla selbst hatte eine „sehr, sehr glückliche Kindheit“ in der kleinen Stadtgemeinde, und ging dennoch, wie viele andere junge Frauen auch - „die Türkei war damals mehr westlich als heute!“ - nach dem Lyzeum nach Istanbul, um dort Betriebswirtschaft zu studieren. Ihr heutiger Ehemann Vural hat ihr dort einen Heiratsantrag gemacht: „Ich war schwer verliebt, ich wollte mich von ihm nicht mehr trennen – so habe ich meine Studium abgebrochen. Gleich nach dem Heirat sind wir hierher.“

Vural C. stammt zwar ebenfalls aus Konya Ereğli, allerdings war er mit seiner Familie schon als Säugling, wenige Monate nach seiner Geburt 1933, nach Istanbul „ausgewandert“. Der Vater war Schuhmacher und versprach sich vom Umzug in die Metropole, die Familie mit drei kleinen Kindern dort besser ernähren zu können. Die Geldprobleme der Kindheit („ich musste Vogelfutter verkaufen und das Geld meinem Vater geben“) prägen ihn und beeinflussen auch die Berufswahl: Er studiert Architektur in Istanbul, wo er bereits früh durch einige aus Nazideutschland emigrierte Professoren mit Deutschland in Kontakt kommt. In Nürnberg ansässige Freunde vermitteln ihm 1960 schließlich einen attraktiven Vertrag mit einem Architekturbüro in Nürnberg – Vural setzt sich in den Zug und fährt los.

Herr C. erzählt von der Ankunft in Nürnberg kurz vor Weihnachten 1960, den ersten Eindrücken von der Stadt: dem vielen Schnee, und einigen Dingen, an die er sich zunächst gewöhnen musste.

In der ersten Zeit verständigt sich der Architekt auf Englisch – im Büro kein Problem, aber außerhalb wird ihm schnell klar, dass das keine Lösung ist. Durch VHS-Kurse „und vor allem meine deutschen Freunde!“ gelingt es ihm schnell, die Sprache gut zu beherrschen. Eine Einladung seines ehemaligen Professors in die USA lehnt er ab, die Flüge sind zu teuer, die Heimat zu weit weg. Auf einem der zu dieser Zeit noch eher seltenen Besuche in Istanbul lernt er eine junge Frau kennen und lieben: Ayla. 1965 wird geheiratet, sie kommt sofort mit nach Deutschland, nach Nürnberg.

Beide erzählen in den Interviews von einer unkomplizierten Einreise und einer überaus freundlichen Aufnahme durch die einheimische Bevölkerung – „sehr herzlich, mit großer Solidarität, durch Deutsche und auch Türken“, betont Ayla C. Natürlich gibt es auch einige skurrile Begegnungen, die von Unsicherheit im Umgang mit den Fremden zeugen, doch offene Ablehnung, sagt sie, erfährt sie nicht. Sie bleibt zwar zunächst als Hausfrau und Mutter zuhause, doch acht Jahre nach der Einreise sucht sie nach einer Arbeitsmöglichkeit – und findet sie: mit ihrem türkischen Lehrerdiplom kann sie als Lehrerin im zweisprachigen Unterricht sofort anfangen: „Meine Mutter hat mich dazu gezwungen, das noch zu machen in Türkei. Ich bin ihr sehr dankbar, es wurde anerkannt, ich konnte arbeiten.“

Blick ins Klassenzimmer: Kinder im zweisprachigen Unterricht. Fotograf: Hermann Hebeler, 1975 (Stadtarchiv Nürnberg, A99-1477)

Das junge Ehepaar hatte sich anfangs vorgenommen „wenn es schlecht geht, gehen wir nach zwei Jahren zurück in die Türkei“ – doch davon war inzwischen keine Rede mehr, wie Vural C. betont. Er hatte sich nach zehn Jahren mit einem eigenen Architekturbüro selbständig gemacht, konnte einige Wettbewerbe gewinnen, war erfolgreich. Ayla C. konnte durch eine Zusatzausbildung ihre Beschäftigung an der Schule auch nach der Abschaffung der zweisprachigen Klassen sichern. Und beide verfolgten aufmerksam die politische Entwicklung in der Türkei, daneben aber auch die in der türkischen Community in Deutschland. Die Beobachtung, dass Deutschland seit den 1980er Jahren zunehmend zum Ausweichquartier für Vertreter radikalislamistischer Bestrebungen werde, führt zu politischem Engagement des Ehepaares in und für die neue Heimat:

Frau C. erzählt von dem von ihr gegründeten Verein, seinen Strukturen, v.a. aber den Zielen: eine demokratische, offene Gesellschaft, in Atatürks Namen gegen die geschlossenen Entwürfe der Islamisten angehend.

Dass sie so viel Zeit in die Vereinsarbeit investiert hat einen Grund, meint Ayla C. Denn „solange die deutschen Behörden ihre Augen zumachen, können uns in Deutschland auch schlimme Tage erwarten“. Auch Vural engagiert sich zunehmend, außerhalb des Berufes bei der Gründung eines Kulturvereins, sowie bei der Initiierung eines deutsch-türkischen Unternehmervereins für Mittelfranken. Das Engagement des Ehepaares halten beide für selbstverständlich: Ayla C. fühlt sich in Nürnberg mittlerweile vollkommen zugehörig, die Stadt und ihre Einwohner liegen ihr am Herzen: „Ich gehöre hierher!“ sagt sie. Und trotzdem fiel ihr die Entscheidung zur Einbürgerung nicht ganz leicht – vor allem, weil sie ihren türkischen Pass aufgeben musste, „das hat weh getan“.

Wenn man die beiden fragt, was denn das Wichtigste sei, um in der Fremde Fuß zu fassen und fern der Geburtsheimat ein gutes Leben führen zu können, so sind sich beide einig: „Man muss sich unbedingt unterhalten, denn man kennt sich überhaupt nicht, wenn man keine Gespräche miteinander führt“. Das Herkunftsland muss man deshalb noch lange nicht aufgeben, man könne es „im Herzen haben“, sagt Ayla. Untereinander sprechen sie türkisch, mit den Kindern deutsch, und mit den Enkeln mal dies und mal das. Gedanken an Rückkehr in die Türkei hegen sie keine, schon lange nicht mehr. Vural sagt dazu nur: „Was heißt hier Rückkehr? Wir leben in Europa und sind Nürnberger!“ – und lacht. Und Ayla ergänzt noch etwas nachdenklich: „Heimat ist schwierig. Ich bin aufgewachsen in der Türkei, kulturell; ich fühle mich immernoch als Türkin. Obwohl ich keine türkische Staatsangehörigkeit mehr habe. Obwohl ich die deutsche Staatsangehörigkeit habe fühle ich mich als Türkin, und deswegen meine Heimat ist Türkei. Aber. Aber! Ich liebe diese Stadt, auf Nürnberg kann ich nicht verzichten! Irgendwie fühle ich mich hier auch einheimisch – und deshalb habe ich die deutsche Staatsangehörigkeit angenommen.“

Die beiden Interviews mit Frau und Herrn C. wurden im Juli 2008 geführt und sind im Stadtarchiv Nürnberg unter den Signaturen F21-51 und F21-52 archiviert. Zitate aus den Interviews wurden im Wortlaut übernommen, die Nachnamen aus Datenschutzgründen abgekürzt.

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