Anlässlich des Erinnerungsjahres 2021 stellt das Stadtarchiv Nürnberg in sechs Kurzbiografien jüdische Persönlichkeiten vor, die hier lebten oder von hier stammten und es verdient haben, einer breiteren Öffentlichkeit bekannt zu werden.
Den Anfang macht Herbert Kolb, der am 27. Februar 1922 in Nürnberg als erstes von zwei Kindern von Reta und Bernhard Kolb, des späteren Geschäftsführers der Kultusgemeinde, geboren wurde. Er besuchte hier die Volksschule und bis zum erzwungenen Austritt der jüdischen Schüler 1935 das Reformrealgymnasium (heute Willstätter-Gymnasium). Nach der Handelsschule und einer kaufmännischen Lehre ging er 1938 zur weiteren Ausbildung nach Berlin und erwarb dort Kenntnisse als Grafiker und Dekorateur. Um sich auf die Auswanderung vorzubereiten, belegte er Kurse in Tischlerei.
Als sich Juden nicht mehr beruflich qualifizieren durften, kehrte er im April 1941 nach Nürnberg zurück und musste in einer Buchbinderei Zwangsarbeit leisten. Am 18. Juni 1943 wurde die ganze Familie in das KZ Theresienstadt deportiert, nachdem ihre Bemühungen um eine Ausreise gescheitert waren.
Herbert überlebte den Holocaust in mehreren Arbeitsaußenkommandos, ebenso seine Eltern. Wie er in seiner Autobiografie eindrucksvoll schildert, die 2015 vom Stadtarchiv im Band Blutvergiftung. Rassistische NS-Propaganda und ihre Konsequenzen für jüdische Kinder und Jugendliche in Nürnberg veröffentlicht wurde, war für ihn das Erlebnis der unmenschlichen Brutalität und Verlogenheit der Nazis prägend. Traumatisiert wurde er durch den Verlust seiner Schwester Erna, ihres Mannes und deren kleinen Sohnes. Außer ihnen wurden noch viele Verwandte und Freunde der Kolbs in der Schoa ermordet.
Ohne die Absicht hier zu bleiben, kehrte die Familie 1945 nach Nürnberg zurück. Sie emigrierte im Januar 1947 in die USA, wo der Sohn zunächst als Tischler und danach erfolgreicher Werbedesigner arbeitete. Privat betätigte er sich als Maler, Zeichner und Kaligraph. Seine Fähigkeiten in der Bearbeitung von Holz nutzte er, um mehrfach eigenhändig sein und das Haus seiner Eltern auszubauen, Möbel zu schreinern oder zu restaurieren. Bis zu seiner Ertaubung liebte er klassische Musik.
Herbert stürzte sich vorbehaltlos in den Neuanfang in Amerika und misstraute zeitlebens den Deutschen seiner Generation, bezichtigte aber die Nachgeborenen nie einer Kollektivschuld. 1950 heiratete er eine Schoa-Überlebende aus Baden und zog 1955 mit ihr nach Paramus im Bundesstaat New Jersey, wo eine Tochter und zwei Söhne zur Welt kamen.
Vater und Sohn Kolb trugen eine umfangreiche Sammlung zur Geschichte, Vertreibung und Vernichtung der Nürnberger Juden zusammen und schrieben akribische Augenzeugenberichte. Herbert stellte dieses Material und seine Verbindungen zu anderen Emigrant(inn)en in verschiedenster Form der Öffentlichkeit in den USA und Deutschland zur Verfügung. Neben Vorträgen, Videointerviews, Internet- und Zeitschriftenbeiträgen bildeten zwei Ausstellungen 2003 und 2013, sein Auftritt bei einem Zeitzeugengespräch im selben Jahr sowie die Veröffentlichung seiner Lebenserinnerungen vielbeachtete Höhepunkte seiner Aktivitäten in Nürnberg. Außerdem begleitete er auf Vermittlung des Stadtarchivs, mit dem er seit den Arbeiten am Gedenkbuch für die Nürnberger Opfer der Schoa 1998 in enger Verbindung stand, zahlreiche zeitgeschichtliche Projekte mit seinem kritischen und kenntnisreichen Rat. Er war sich dessen bewusst, ein einmaliger Zeitzeuge zu sein, und verfügte über ein untrügliches Gedächtnis; ohne ihn hätte die Erforschung der jüdischen Vergangenheit Nürnbergs nicht ihren heutigen Stand erreicht.
Wer ihn kennenlernen durfte, schätzte an ihm Mut, Energie, Lebenslust, Selbstbewusstsein, Charme, absolute Aufrichtigkeit, Konfliktbereitschaft, Temperament, Leidenschaft und seinen scharfen Intellekt. Herbert Kolb starb am 27. März 2016 in Paramus. Er war ein Mensch, dem die Wahrheit über alles ging.