Verwalten in Trümmern

Die Verwaltung der Stadt Nürnberg 1945

Je länger der zweite Weltkrieg andauerte, desto mehr wirkte er sich auf alle Bereiche des Lebens aus. An vielen Stellen mehrten sich die Notfall- und Kriegspläne und ersetzten die bis dahin existierenden regelmäßigen Verwaltungsprozesse. Der Bombenangriff des 2. Januar machte nicht nur an die 100.000 Menschen obdachlos, auch die Gas-, Wasser- und Stromversorgung war nicht mehr möglich. Auch das Rathaus am Hauptmarkt war schwer zerstört und mit ihm all das, was man vorab verwendet hatte, um die Stadt zu verwalten: Geräte, Einrichtungsgegenstände und natürlich auch die Unterlagen der Stadtverwaltung. Denn vom Prinzip her funktionierte Verwaltung schriftlich und auch viele der Akten waren verbrannt. Pläne, diese an sicheren Orten zu lagern gab es natürlich. Nur waren am wichtigsten die, die gerade aktuell in Gebrauch waren und diese wiederum waren am Hauptmarkt vorhanden und nicht an einem sicheren Ort. Mithin betraf das Bombardement vor allem die wichtigsten Bestände.

Das zerstörte Rathaus, 1947, US-Stereoluftaufnahme (Stadtarchiv Nürnberg A41_I-Repro_147_10)

Um der Stadtverwaltung wieder einen Ort zum Arbeiten zu geben, wich man auf das noch intakte Gebäude der Bielingschule (heute Peter-Vischer-Schule) aus. Erste Arbeiten wurden hier am 5. Januar, drei Tage nach dem Angriff aufgenommen, es dauerte jedoch noch fast zwei Wochen, bis die Verwaltung sich einer Sollstärke zumindest wieder näherte. Auch unter der Belegschaft der Stadtverwaltung waren Todesopfer des Bombenangriffs zu beklagen, andere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter hatten dabei ihre Wohnung verloren und mussten sich erst einmal ein neues Dach über dem Kopf schaffen. Für einige, die außerhalb wohnten war der Weg schlicht nicht mehr zu bewältigen.

Das Bielingschulhaus wurde interimsweise zum Rathaus, Aufnahme Otto Ernst Munker/Hochbauamt, 16.03.1951 (Stadtarchiv Nürnberg A 38_L_11_01)
Büro des Bürgermeisters im Bielingschulhaus, Aufnahme Otto Ernst Munker/Hochbauamt, 16.03.1951 (Stadtarchiv Nürnberg A 38_L_11_03)

Während dieser Zeit war der seinerzeitige Oberbürgermeister Willy Liebel erkrankt und wurde vom zweiten Bürgermeister Walter Eickemeyer vertreten. Erst am 26.02.1945 nahm er seine Arbeit wieder auf, nachdem fünf Tage zuvor auch Haus und Druckerei seiner Eltern schwer beschädigt worden waren. In dieser Zeit war das Kriegsende durch ein immer weiteres Vorrücken der Alliierten bereits absehbar. Einerseits schwor Liebel in einer von Durchhalteparolen geprägten Antrittsrede seine Mitarbeiter auf die Lösung von Problemen ein, andererseits begann er auch Anfang März mit der Vernichtung von wichtigen, d.h. potentiell belastenden Akten, sofern diese nicht schon am 2. Januar zerstört worden waren.

Die üblichen Gegenstände kommunaler Verwaltung waren in dieser Zeit schon seit längerem und in wachsendem Maße nur noch behelfsmäßig zu gewährleisten. Reguläre Vorgänge der Verwaltung wurden immer mehr durch die Umsetzung von Notfallmaßnahmen verdrängt. Bei immer mehr Aufgaben stieß eine Stadtverwaltung, die durch Einziehungen zur Wehrmacht oder die Versetzung von Mitarbeitern zu Administrationen in den von der Wehrmacht besetzten Gebieten auch zahlenmäßig dezimiert war, an ihre Grenzen. Dies geschah, obwohl für diesen Fall bereits lange vorgesorgt worden war. Schon 1938 war in der Verwaltung ein Referat X für Denkmalschutz und ein Referat XI, das sich Reichsverteidigungsreferat nannte, eingerichtet worden. Beide nahmen explizit auf die Auswirkungen von Kriegen Bezug, genau wie ein Kriegsschädenamt, das 1940 errichtet wurde.

Gaswerk, Ludwigskanal und Mainzer Platz, 25.04.1945, Luftaufnahme US-Signal Corps (Stadtarchiv Nürnberg A41_Repro_196_062)

Mit dem Vorrücken der Amerikaner wurde diese militärische Komponente der Verwaltung immer wichtiger, nicht nur bei der Stadt sondern auch insgesamt. Ab dem 15. April 1945 gab es neben der Stadtverwaltung und Karl Holz als Reichsverteidigungskommissar auch einen militärischen Kampfkommandanten für Nürnberg, Oberst Richard Wolf. Holz vertrat dabei eine Linie, die dem von Adolf Hitler erlassenen „Nero-Befehl“ der Zerstörung aller wichtigen Anlagen entsprach, die nicht in die Hände des Feindes gelangen sollten. Wolf und Liebel tendierten eher in Richtung eines weitest möglichen Erhalts der Stadt. In dieser Gemengelage war es dann vielfach das Engagement einzelner, das schlimmeres verhinderte.

Straßenbahn vor dem Staatlichen Vermessungsamt, 1945 (Stadtarchiv Nürnberg A 39/II Nr. A39-II-4651-S)

Nur einen Tag später, am 16. April 1945, stellten alle zivilen Behörden in Nürnberg und mithin auch die Stadtverwaltung ihre Arbeit ein. Die amerikanischen Truppen waren bereits in Erlenstegen angekommen und kämpften sich von dort weiter in die Stadt vor. Nachdem Liebel einen Tag später auch die letzten Mitarbeiter von ihren Pflichten entbunden hatte, zog er sich in den Bunker am Polizeipräsidium zurück, in dem er am 20.04.1945 umkam, dem Geburtstag Adolf Hitlers, an dem die amerikanischen Truppen auf dem zerstörten Hauptmarkt bereits eine erste Siegesparade abhielten.

Nach den Bombenangriffen des 2. Januar hatte es drei Tage gedauert, bis erste Gliederungen der Verwaltung wieder einsatzfähig waren. Nun, nach der Einnahme der Stadt durch die amerikanischen Truppen verhielt es sich ähnlich: Nachdem Walter Eickemeyer aufgrund seiner exponierten Stellung zunächst nur formal und unmittelbar nach Eroberung der Stadt als Chef der Verwaltung eingesetzt war, entschied sich die Besatzungsmacht am 22. April für den bisherigen Personalreferenten Julius Rühm. Dieser Tag war ein Sonntag und für den folgenden Montag wurde die gesamte städtische Belegschaft wieder zum Dienstantritt aufgefordert.

Bürgermeister Walter Eickemeyer bei einer Rede im Rahmen einer Sparkassengedenkfeier, 09.04.1940 (Stadtarchiv Nürnberg A 58 Nr. A58-226)

Eine Regierung im eigentlichen Sinne war hier nicht gefragt, die Militärbehörden behielten sich in allen Bereichen umfangreiche Aufsichts- und Eingriffsrechte vor. Hinsichtlich des Funktionierens von Abläufen war der Ansatz jedoch pragmatisch und viele auch leitende Mitarbeiter der Administration aus der NS-Zeit, die neben ihrer Beamten- durchaus auch eine Parteikarriere vorzuweisen hatten, blieben einstweilig im Amt.

Kritik daran blieb nicht aus und so wurde am 26. Juli der damals schon 74jährige Martin Treu zum Oberbürgermeister ernannt, der schon 1919 bis 1933 für die SPD zweiter Bürgermeister der Stadt gewesen war. Vielleicht auch angesichts seines Lebensalters suchte Treu wohl Anschluss an diese Zeit, was ebenfalls nicht ganz ohne Konflikte blieb, so dass sich die Besatzungsmacht für den nur sechs Jahre jüngeren SPD-Politiker Hans Ziegler entschied, der in der folgenden Kommunalwahl am 26. Mai 1946 bestätigt wurde und das Amt bis 1948 behielt. Die Gegenstände der Verwaltung normalisierten sich in dieser Zeit langsam wieder, wenn auch Notfallmaßnahmen und Wiederaufbauleistungen noch lange den administrativen Alltag bestimmten. Die Versorgung mit Gas konnte etwa erst im Laufe des Jahres 1946 wieder sichergestellt werden. Der Zuschnitt der Stadtverwaltung hatte sich dabei zunächst nur wenig verändert. Die bedeutendsten Neugründungen waren ein Amt für Produktionslenkung, das seit dem 1. Dezember 1945 die Gewerbeanmeldungen regelte und eines für Selbstaufbau, das private Bauanträge beschied. Die Arbeitsgegenstände der Neugründungen aus der NS-Zeit wurden jedoch, soweit noch erforderlich, Stück für Stück wieder in den bisherigen Aufbau der Kommunalverwaltung integriert.

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