Gastbeitrag von Alexander Gerhart
„Für seine Schimmelbilder und Verschimmelungsobjekte verwendet Diter Rot aus organischen Substanzen hergestellte Gegenstände, beispielsweise Lebensmittel, wie Brot Käse, Wurst, Speisereste, die allmählich verwesen und daher als Nährboden für Schimmelkulturen dienen, welche so lange weiterwachsen und das Kunstwerk ständig verwandeln, bis es, gewissermaßen per Eigenverdauung, irgendwann einmal alle geworden ist.“ (aus dem Katalog zur Ausstellung „Der Bildungstrieb der Stoffe“, 30.4 - 31.5 1970 in der Kunsthalle Nürnberg am Marientor)
Allerdings gestaltet sich der Transport solcher Kunstwerke nicht immer reibungslos, wie der Stadt Nürnberg spätestens seit dem Rechtsstreit um Schadenersatz mit der art intermedia Anfang der 1970er Jahre bekannt sein dürfte.
Der unsachgemäße Transport des Kunstwerks „Schimmelhaufen“ von Diter Rot zur Ausstellung „Der Bildungstrieb der Stoffe“, die vom 30. April bis zum 31. Mai 1970 in der Kunsthalle Nürnberg am Marientor stattfand, führte dazu, dass bei der Ankunft in Nürnberg festgestellt werden musste, dass das Werk eine Verwandlung vollzogen hatte. Allerdings war dies keine planmäßige Metamorphose durch Wachstum oder Eigenverdauung, sondern das Werk war „durch die Erschütterungen beim Transport innerhalb der Plexiglashaube an zahlreichen Stellen zu Bruch gegangen“ (Dr. Eberhard Roters an die art intermedia). Es stellte sich heraus, dass der Transport von den Ausstellern gar nicht vorgesehen war, da das betreffende Werk gar nicht bei der Ausstellung präsentiert werden sollte. Ein Fall, der das Rechtsamt noch bis 1974 beschäftigen sollte.
Bereits die Beschriftung der Akte wirft die ersten Fragen auf: Handelt es sich bei der Arbeit von Diter Rot mit dem Titel „Schimmelhaufen“ nun um ein Kunstwerk oder doch ein „Kunstwerk“? Die zunächst auf der Akte vermerkte Variante mit Anführungszeichen schien dann doch im Laufe des Prozesses eine gewisse Voreingenommenheit gegenüber moderner Kunst zu suggerieren, weshalb vermutlich die Anführungszeichen wieder getilgt wurden.
Man wollte sicher nicht in das gleiche Fettnäpfchen treten, wie der von der Versicherungsgesellschaft beauftragte Gutachter, der „eine eklatante Sachunkenntnis gegenüber den Problemen der modernen Kuns in [sic!] den Tag gelegt hat.“ Es sei „nicht die Aufgabe des Gutachters gewesen, philosophische Betrachtungen darüber anzustellen, ob es sich um Kunst handelt oder nicht“, stellte der Ausstellungsleiter Dr. Eberhard Roters in einem Schreiben an die Stadt Nürnberg klar.
Die Schreiben Dr. Eberhard Roters im Zusammenhang mit dem bereits über 40 Jahre zurückliegenden Rechtsstreit erinnern auch an zahlreiche jüngere Vorfälle, die sich alle um die gleiche Frage drehten: Was ist Kunst und was nicht?
Für Nürnberg ist sicherlich die Verhüllung des Schönen Brunnens durch Olaf Metzel im Zuge des WM-Kulturprojekts „Das große Rasenstück“ im Jahr 2006 zu nennen (Ausführlicher Artikel vom 8. Dezember 2015). Aber auch der „Verhüllte Reichstag“ von Christo und Jeanne-Claude erregte bereits 1995 großes Aufsehen. Im Gegensatz zu Diter Rots „Schimmelhaufen“ stellten diese Projekte aber Kunst im öffentlichen Raum dar und zielten folglich von vorneherein auf Öffentlichkeitswirksamkeit und Auseinandersetzung mit der Thematik ab. Die Tatsache, dass im Zuge des Rechtsstreits um Schadenersatz für das beschädigte Kunstwerk auch die Frage aufkam, ob es sich nun um Kunst handele oder nicht, kommentierte Dr. Eberhard Roters damit, dass man ohne „diesen exegetischen Exkurs […] wahrscheinlich eine Menge Papier [hätte] sparen können.“
Wie schon Picasso feststellte: „Wenn ich wüsste was Kunst ist, würde ich es für mich behalten.“[1] In diesem Fall, der schlussendlich mit einem Vergleich in zweiter Instanz endete, nachdem zuvor die Klage der art intermedia abgewiesen wurde, hat die Kunst unfreiwillig deutlich mehr Papier erzeugt als eigentlich notwendig, wie die fast 300 Blatt dicke Akte dokumentiert.
[1] Lodermayer, Peter: Transformationen des Stillebens in der nachkubistischen Malerei Pablo Picassos, 1999, LIT Verlag Berlin-Hamburg-Münster, S.235.