Gastbeitrag von Clemens Wachter, Universitätsarchiv Erlangen-Nürnberg
Am 15. Oktober 1919 erfüllte sich ein langgehegter Wunsch: endlich konnte die Nürnberger Handelshochschule ihren Lehrbetrieb aufnehmen.
Als nach dem Übergang an das Königreich Bayern die in Altdorf gelegene Universität der ehemaligen Reichsstadt Nürnberg 1809 aufgelöst worden war, versuchte die Stadt im Laufe des 19. Jahrhunderts, diesen Verlust auszugleichen. Vor allem wollte man den Wissensgebieten der Wirtschaft und der Technik, die gerade einen starken Aufschwung erlebten, eine entsprechende Ausbildungsstätte zur Verfügung stellen.
Hieraus erwuchs die Idee einer „Freien Hochschule für Handel, Industrie und allgemeine Volksbildung“, die man zu Beginn des 20. Jahrhunderts plante. Das Grundkonzept sah eine Gliederung in drei Abteilungen vor: eine „Allgemeine Abteilung einschließlich der Volkshochschule“, eine „Handelshochschule“ und eine „Technische Fachhochschule“. Dieses Konzept war ein Experiment; für ihren Mentor, Stadtschulrat Konrad Weiß, sollte sie „eine Pflegestätte des deutschen Idealismus sein und die materielle Bewertung des Lebens durch eine ideelle vervollständigen“. Das Neuartige an diesem Konzept war, dass man sowohl auf Zugangsvoraussetzungen als auch auf die Abhaltung von Prüfungen verzichten wollte – für eine Hochschule, die im akademischen Wettbewerb zu bestehen hatte, ein allerdings sehr revolutionärer Gedanke. Gegründet wurde die „Freie Hochschule“ schließlich durch die Stadt Nürnberg am 27. Mai 1918 im Rahmen einer Gedenkveranstaltung zum 100. Jahrestag der bayerischen Verfassung.
Wenn man jedoch gehofft hatte, damit auch alle drei geplanten Abteilungen einrichten zu können, sollte man sich getäuscht sehen, denn weder die Zeitumstände bei Kriegsende noch die Vorbehalte der bayerischen Regierung gegen eine weitere technische Ausbildungsstätte ließen eine Umsetzung des Konzeptes der „Freien Hochschule“ zu. Eröffnet wurde am 15. Oktober 1919 schließlich nur die Handelshochschule, der provisorisch einzelne Vortragsreihen der geplanten Volkshochschule angeschlossen waren.
Wie allgemein an den deutschen Hochschulen und Universitäten herrschte auch an der neuen Nürnberger Handelshochschule nach dem Ende des Ersten Weltkriegs ein starker Andrang, da die ehemaligen Kriegsteilnehmer nun ihre Studien nachholen wollten. So konnte die Handelshochschule mit 180 immatrikulierten Studierenden und 4.930 Hörern im ersten Semester, dem Wintersemester 1919/20, gleich von Beginn einen großen Erfolg verbuchen. Untergebracht war sie in dem 1902 errichteten Schulhaus Findelgasse 7.
Die als Notlösung umgesetzte Verbindung von Handels- und Volkshochschule, also den beiden übrig gebliebenen Säulen der „Freien Hochschule“, erwies sich aber bald als nicht tragfähig. So existierten zahlreiche konkrete Probleme im Alltagsbetrieb, in erster Linie hinsichtlich der Unterschiede in der Lehr- und Forschungsaufgabe und der Arbeitsweise der Dozenten. Insbesondere befürchtete man, die Handelshochschule könnte den Anschluss im überregionalen Wettbewerb nicht finden, wenn sie sich – vor allem aufgrund ihrer singulären Verbindung mit der Volkshochschule – den anderen deutschen Handelshochschulen gegenüber nicht als ebenbürtig erweisen sollte.
So scheinen die ersten Studierendenjahrgänge in der Tat recht inhomogen und der anfängliche Studienbetrieb eher experimentell und nicht zielgruppenorientiert gewesen zu sein, wie sich der spätere Ordinarius für Betriebswirtschaftslehre Georg Bergler erinnerte: „Der Abiturient ohne Wirtschaftspraxis war eine seltene Erscheinung. Auffällig waren dagegen die zahlreichen Lehrer, die der Hochschule zuströmten. Unter ihnen waren das weiße Haupt und der würdige lange Bart keine Seltenheit.“ Als Konsequenz dieser Probleme wurde die Volkshochschule von der Handelshochschule abgetrennt und 1921 als eigenständige Institution neu eröffnet.
Die Handelshochschule wurde dann nach dem Erhalt der Rektorats- und Senatsverfassung 1925 als den anderen deutschen Handelshochschulen gleichwertig anerkannt. 1961 schließlich wurde sie als Wirtschafts- und Sozialwissenschaftliche Fakultät in die Friedrich-Alexander-Universität integriert (heute: Fachbereich Wirtschafts- und Sozialwissenschaften in der Rechts- und Wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät), die damit ihre Ortsbezeichnung in „Erlangen-Nürnberg“ änderte. In dem Gebäude Findelgasse 7 ist der Fachbereich auch heute noch untergebracht, ergänzt durch einen Gebäudetrakt auf dem Nachbargrundstück Findelgasse 9 (1955) sowie Neubauten (1977 und 2004) in der Langen Gasse.