400 Bettstellen im Reservelazarett hatte der Frauenzweigverein vom Roten Kreuz mit Kopfpolstern, Bezügen und Leintüchern bis Mitte August vorbereitet. Dann traf am 1. September 1914 gegen 20.28 Uhr der erste Verwundetenzug im Neumarkter Bahnhof ein. Und … es stiegen acht Patienten aus, obwohl die Ankunft von 100 gemeldet war. Wie sollte man da an der Heimatfront Ruhm und Ehre erlangen, beispielsweise das begehrte König-Ludwig-Kreuz, in einem Krieg, der ja Weihnachten bereits siegreich beendet sein sollte.
Auch die Schaulustigen gingen wohl missgestimmt wieder nach Hause, denn für den Empfang „hatte man große Vorbereitungen getroffen“, wie der Schreiber des Neumarkter Tagblatts bemerkte. Immerhin konnte er beruhigt feststellen: „Die Aufrechterhaltung der Ordnung geschah in wohlgeleiteter Weise, ohne daß bei dem überaus zahlreich erschienenen Publikum irgendwelcher Unfall zu verzeichnen wäre.“ Die geringe Zahl der Eingetroffenen machte es dem Berichterstatter sogar möglich, eingehender über sie zu berichten. Dies sollte bei den vielen Soldaten, die in dem vierjährigen Krieg noch kommen sollten, dann nicht mehr der Fall sein. Fünf der vom westlichen Kriegsschauplatz über Nürnberg angekommenen Soldaten stammten aus der Gegend um Beilngries sowie je einer aus Deggendorf, Donauwörth und Gotha. Anscheinend waren die Baracken beim Stadtkrankenhaus noch nicht bezugsfertig, denn die Soldaten wurden erst im Mädchenschulhaus untergebracht. In diesem Gebäude wurden Räume für Lazarettzwecke genutzt. Der Chefarzt des Reservelazaretts, Dr. Johann Baptist Grundler, bedankte sich für die unentgeltlich bereit gestellten Fuhrwerke und die Blumengeschenke an die Soldaten. Bereits am 12. September musste das Tagblatt jedoch mahnend darauf hinweisen, dass das Bewerfen der ankommenden verwundeten Soldaten mit Blumen diese sicherlich erfreue, man das Bewerfen mit Obst doch künftig unterlassen solle, da man diesen unnötige Schmerzen verursache, wenn man die verletzte Körperstelle treffe. Obst solle man doch künftig in der Lazarettkanzlei abgeben.
Die Feldpostkarte, die am 28. April 1918 gestempelt wurde, zeigt die quer zur Nürnberger Straße aufgestellten Baracken mit Krankenhaus und dem Türmchen der Sankt-Anna-Kirche im Hintergrund. Diese Karte, die es auch in einer farbigen Ausführung gab, wurde vom Boegl-Verlag in Neumarkt gedruckt und dürfte häufiger von Soldaten für Ihre Nachrichten an Verwandte und Freunde genutzt worden sein. Die vorderen Baracken tragen die Nummern 6 und 5. Diese Barackennummern wurden öfters von den Soldaten bei der Anschrift angegeben.
Vier Jahre lang trafen regelmäßig Lazarettzüge ein und brachten weitere kranke und verwundete Soldaten. Der Apotheker Karl Speier, der mit seinen anfangs noch vierzig Sanitätern die Transporte organisierte, führte über die in die Baracken beim Krankenhaus, den Rathaussaal und mehrere Schulen transportierten Soldaten mit Gründlichkeit Buch, so dass wir über die Gesamtzahlen gut unterrichtet sind. Es waren 1914 740, 1915 1.396, 1916 1.818, 1917 1.718 und 1918 2.899 beförderte Soldaten, während des gesamten Kriegsverlaufs also insgesamt 8.571. Die erhaltenen Krankenhausbücher weisen folgende Zahlen auf: 1914 42, 1915 218, 1916 285, 1917 176, 1918 224 und 1919 sechs (dabei einige Mehrfachnennungen). Nicht alle Soldaten mussten selbst ins Krankenhaus zur Behandlung, sondern konnten im Lazarett behandelt werden. Leider konnte der Verbleib der Reservelazarettkrankenbücher bis jetzt noch nicht geklärt werden. Die Namen der Soldaten, die ins Krankenhaus Aufnahme fanden, sind im Internet einsehbar. Die Datei steht auch als PDF zum Abspeichern auf dem eigenen PC zur Verfügung. Für 22 Soldaten sollte das Reservelazarett bzw. Neumarkter Krankenhaus letzte Lebensstation werden, jeweils ein Soldat starb 1914 und 1917, 1915 drei, 1916 acht und 1918 neun Soldaten.
Fritz Siems, Landwehrmann im Infanterie-Regiment Nr. 31 war einer der Soldaten, die im Krankenhaus selbst Aufnahme fanden. Wegen einer Rippenfellentzündung lag er vom 9. Dezember 1914 bis 9. Januar 1915 in dem vom ihm auf der Ansichtskarte, die er am 17. Dezember an seinen Bruder Paul Siems nach Friedrichsort bei Kiel schickte, mit Kreuzchen bezeichneten Zimmer. Für seine Feldpostkarte musste er auf eine im Handel erhältliche Karte aus der Friedenszeit zurückgreifen; denn zwischen der Nürnberger Straße und dem Krankenhaus standen im Dezember 1914 bereits die Baracken des Reservelazaretts. Siems schrieb von der schönen Aussicht Richtung Woffenbach und über das schlechte Regen-Wetter.
Über das gewöhnungsbedürftige Kümmelbrot klagte der Sanitätsunteroffizier Adalbert Wolfgang Rebl auf seiner Postkarte, die er am 27. August 1916 seinem Lehrer nach Apolda in Thüringen schickte. Der in Tittmoning 1890 geborene Sohn eines Apothekers war bei Kriegsausbruch Kandidat der Medizin in Regensburg und wurde vom 8. Oktober 1914 bis 11. Januar 1915 im Neumarkter Reservelazarett eingesetzt, wie der Kriegsstammrolle zu entnehmen war. Hier wurde er am 27. Dezember zum Unterarzt auf Kriegsdauer ernannt. Am 12. Januar 1915 wurde er in das Reservelazarett Nr. 13 der 8. Bayerischen Reserve-Division versetzt (Train-Ersatz-Abteilung in Fürth). Ob er 1916 als Patient oder wieder beim Pflegepersonal in Neumarkt weilte, konnte noch nicht geklärt werde.
In Vorbereitung einer Ausstellung konnten die Namen und Personendaten von 242 Ärzten, Pflegern, Krankenträgern und Krankenschwestern ermittelt werden, die im Reservelazarett in Neumarkt tätig waren. Oberstabsarzt und Chefarzt des Lazaretts war der bereits genannte Dr. Johann Baptist Grundler, 1848 in Oberviechtach geboren, der noch am 22. März 1918 zwei Monate nach seinem 70. Geburtstag an einer Lungenentzündung starb. In der Nähe des Krankenhauses erinnert heute die Dr.-Grundler-Straße an seine Verdienste um das Neumarkter Krankenhaus. Der Stabsarzt der Landwehr I, Dr. Georg Brütting, der 1874 in Kirchehrenbach geboren worden war, ließ sich im Juni 1915 mit seiner Abteilung auf einer privaten Fotopostkarte ablichten. Er selbst hat sich dankenswerterweise mit einer Kreuzchen markiert. Ob wir in dem Herren mit Krawatte und Anzug in der Reihe hinter ihm Dr. Grundler haben, müsste noch geprüft werden.
Der 1874 in Bach an der Donau geborene Bäckermeister Heinrich Schifferl wurde am 16. Oktober 1916 direkt für das Reservelazarett Neumarkt als Sanitätsgefreiter einberufen und diente dort bis zu seiner Versetzung zum 6. Feld-Artillerie-Regiment in Fürth am 4. Mai 1918. Er schickte an eine Abnehmerin seiner Backwaren am 23. November 1916 eine Feldpostkarte nach Donaustauf und erkundigte sich besorgt, woher sie nun ihr Brot beziehe. Möglicherweise hat er sich in Uniform auf der Karte selbst unter die Insassen der Baracke 2 eingereiht.
Vielfältig waren nicht nur die Kontakte der Soldaten zu Verwandten, Freunden, Bekannten oder ihrer Kundschaft, sondern auch zwischen den Insassen des Lazaretts und der Bevölkerung der Stadt Neumarkt. Die Gehfähigen nahmen beispielsweise an Fronleichnamsprozessionen oder Nagelungen des Neumarkter Kriegswahrzeichens teil, halfen bei der Heuernte oder stellten sich bei patriotischen Veranstaltungen für lebende Bilder zur Verfügung. Umgekehrt zeigten die Neumarkter den „Vaterlandsverteidigern“, wie man die Soldaten damals auch nannte, ihre Dankbarkeit durch Schenkung von Büchern, Spielkarten, Gehstöcken, Nahrungs- und Genussmitteln, unter letzteren besonders die begehrten Rauchwaren. Jahr für Jahr nahm der Frauenzweigverein vom Roten Kreuz die Christbaumfeier mit Weihnachtsbescherung im Reservelazarett in die Hand, die meist im großen Saal des katholischen Gesellenhauses veranstaltet wurde.
Mit vielen weiteren interessanten Details wird sich vom 9. Juni bis Mitte September 2017 eine Ausstellung im Stadtmuseum Neumarkt mit den Themen Reservelazarett und Kriegsgefangenenlager in Neumarkt i.d.OPf. befassen. Wer dazu noch Ansichtskarten, Fotos, Tagebucheinträge oder gar dreidimensionale Objekte zur Verfügung stellen kann, ist herzlich eingeladen, sich mit Stadtarchiv (09181-2552640 oder stadtarchiv@neumarkt.de) oder Stadtmuseum (09181-2401 oder stadtmuseum@neumarkt.de) in Verbindung zu setzen. Von besonderem Interesse wären Innenaufnahmen der Baracken oder des Krankenhauses, bei letzterem besonders des 1915 von der Stadt erworbenen Röntgenapparats. Vielleicht finden sich auch in Fotoalben Aufnahmen der Konzerte, Weihnachtsfeiern, Kriegsnagelungen, Überreichungen von Kriegsehrenzeichen oder anderen Veranstaltungen, an denen Soldaten des Neumarkter Reservelazaretts teilnahmen.
Quellen:
Stadtarchiv Neumarkt, Krankenhausbuch B 12.3; Neumarkter Tagblatt, 19. und 30. August, 3. September 1914; Kurt Romstöck, Entstehung des Roten Kreuzes. Der Rotkreuz-Kreisverband Neumarkt i.d.OPf., Daßwang 2002, S.58 f.; Kriegsstammrollen für Dr. Georg Brütting, Dr. Johann Baptist Grundler, Adalbert Wolfgang Rebl und Heinrich Schifferl (ancestry).