Manchmal vermitteln Geschlechterbücher nicht nur genealogische Kenntnisse über die jeweilige Familie, sondern geben auch entzückende Einblicke in das Alltagsleben ihrer Zeit. Ein Beispiel hierfür ist der hier vorgelegte Ausschnitt aus einem Geschlechterbuch, das von Hans Rieter d.J. 1596 angelegt und von seinen Nachfolgern bis 1629 fortgeführt wurde. Das Schema der einzelnen Einträge ist einfach: Je zwei gegenüberliegenden Seiten zeigen das Oberkörperbild des Probanden bzw. seiner Ehefrau über dem Wappenschild, darunter die jeweiligen Eltern und Großeltern, darüber die gemeinsamen Kinder mit ihren Ehepartnern. Der vorliegende Ausschnitt stammt aus dem Eintrag über Paulus Rieter und seine Frau Katharina Volckamerin.
Paulus Rieter war der Sohn Hans Rieters d.Ä. (gest. 1434), des Stifters der Vorschickung Kalbensteinberg, und der Klara Wernitzerin (1408-1435) und wurde 1430 geboren. Nach einer ausgedehnten Reise durch Italien heiratete er 1451 Katharina Volckamerin und wurde, wie üblich, Genannter des größeren Rats. Seine Ratskarriere blieb bescheiden. Erst 1464 wurde er Junger Bürgermeister, ohne jemals weiter aufzusteigen. Hatte er andere Interessen? Das nachträglich eingeklebte kleine Genrebild deutet darauf hin. Es zeigt ihn als eleganten jungen Mann in modischer Kleidung beim Kartenspiel mit seiner Frau (oder ist sie noch seine Zukünftige? Das Wappen jedenfalls identifiziert sie klar als Katharina Volckamerin), neben sich eine große Kanne gekühlten Weins oder Biers. Und das zu einer Zeit, als der Rat 1452 eigens den Kapuzinermönch Johannes Capistrano nach Nürnberg kommen ließ, um gegen die Sünden der Mode und des Kartenspiels zu wettern, und seine ergriffenen Zuhörer zu Tausenden ihre modischen Schnabelschuhe, Brettspiele und Spielkarten auf dem Hauptmarkt verbrannten!
Hatte Capistranos Predigt auch bei Paulus Rieter Erfolg? Als zweiter Inhaber der Vorschickung Kalbensteinberg erbaute er in späteren Jahren die dortige Kirche und stiftete eine Prozession und die Engelmesse in Freyberg. Die Figur über dem Wappen rechts zeigt ihn in diesem gesetzten, würdigen und frommen Alter. Paulus Rieter starb 1487. Den Nachkommen blieb offensichtlich eher der fröhliche junge Stutzer im Gedächtnis.