Es geschah vor 175 Jahren - Die Handelskammer konstituiert sich

Vor 175 Jahren konstituierte sich am 15. Mai 1843 auf staatliche Anordnung im Nürnberger Rathaussaal gegen den Widerstand des alteingesessenen Nürnberger Handelsvorstands die Handelskammer als staatliches Beratungsorgan, Interessenvertretung sowie Kompetenzzentrum für Tarif-, Zoll- und Verkehrsfragen. Aus der Handelskammer wurde infolge mehrerer Umorganisationen am 25. Februar 1908 die heutige Industrie- und Handelskammer Nürnberg für Mittelfranken. Da die Nürnberger Wirtschaft zur Zeit das 175-jährige Bestehen ihrer Industrie- und Handelskammer feiert, ist die Frage nach deren Wurzeln mehr als berechtigt.

Der Nürnberger Rat errichtet am 1562 die bis zum Ende der reichsstädtischen Zeit aus zwei Marktherren oder Obermarktherren bestehende Deputation „zum Markt“

Der Nürnberger Rat errichtet am 1562 die bis zum Ende der reichsstädtischen Zeit aus zwei Marktherren oder Obermarktherren bestehende Deputation „zum Markt“ (StadtAN E 8 Nr. 573, fol. 19r).

Ein Nürnberger Stadtknecht (links) mit einem Bürgerschreiber (rechts)

Ein Nürnberger Stadtknecht (links) mit einem Bürgerschreiber (rechts). Ausschnitt aus einer Trachtengruppe von Johann Alexander Boener, Kupferstich, Datierung geschätzt (1688-1700) (StadtAN E 13/II Nr. 536).

Mit der bei Einrichtung einer Börse auf Initiative von 61 Nürnberger Großkaufleuten 1560 erlassenen Marktordnung fand der Nürnberger Handelsstand seine Vertretung in den „Älteren Handelsleuten“ mit Selbstverwaltungsrechten in Markt- und Börsenangelegenheiten. Um deren Anliegen bei den übrigen Kaufleuten durchsetzen zu können, errichtete der Nürnberger Rat 1562 die bis zum Ende der reichsstädtischen Zeit aus zwei Marktherren oder Obermarktherren bestehende Deputation „zum Markt“. Unter diesen beiden Ratsherren überwachten der Marktläuter und ein Stadtknecht die Einhaltung der Marktordnung.

Der Marktläuter wiederum wurde von den „Ältesten Kaufleuten am Markt“ besoldet, deren Sitzungsräume ab 1563 im Marktgewölbe lagen. 1566 wurden die Aufgaben rund um Markt und Börse im Handelsvorstand organisiert und die Marktvorsteher zu Verwaltern der Marktordnung bestimmt. Vorläufer der Korporation der Nürnberger Kaufmannschaft war deren Zusammenfassung als sozialer Stand durch die Ordnung der Herrentrinkstube 1562.

Der Handelsvorstand vertrat die Interessen der Nürnberger Großkaufleute gegenüber dem Rat und seinen Gremien, er war Vorstand der Börse und wurde im Marktgewölbe als kaufmännisches Schiedsgericht tätig. Der immer stärker werdenden Bedeutung von Börsehandel und -verkehr trug der Handelsvorstand mit der Schaffung der Warenmakler (meldeten alle Geschäftsabschlüsse im reichsstädtischen Zollamt) und der Wechselmakler (protokollierten alle Wechselgeschäfte) Rechnung.

Erstes Marktbuch am Herrenmarkt, angelegt 1582

Erstes Marktbuch am Herrenmarkt, angelegt 1582, Laufzeit bis 1701. Band in Holzdeckeln, überzogen mit weißem Schweinsleder mit reicher Pressung, Messingbeschläge (mit Buckeln) und Messingschließen reich verziert; auf dem Deckel: Marckbuch am Herrnmarck 1582. Ansicht des Deckels und des Gesamtbandes (StadtAN E 8 Nr. 573).

Das erste Geschäftsbuch des Handelsvorstands („Marktbuch“) stammt von 1582. Ab 1570 organisierte er das Nürnberger Botenwesen – ein postähnlich aufgebauter Informationsdienst der Reichsstadt – zu den wichtigsten Handelsplätzen Europas (seit 1615 in Konkurrenz zur kaiserlichen Reichspost der Familie Taxis). Die ersten Boten 1570 gingen nach Lyon, Straßburg, Frankfurt/Main, Wittenberg, Leipzig, Wien, Breslau und Salzburg, spätere dann noch nach Antwerpen, Hamburg und Stuttgart.

Überfall auf einen Nürnberger Boten 1609. Eintrag und Illustration in einer Nürnberger Chronik, um 1620

Der Botendienst für die Reichsstadt Nürnberg war nicht ungefährlich: Überfall auf einen Nürnberger Boten 1609. Eintrag und Illustration in einer Nürnberger Chronik, um 1620 (StadtAN F 1 Nr. 156, fol. 366v, Ausschnitt).

Mit dem Aufbau einer Geleitskasse (1572) und der festen Anstellung von Transportvermittlern (Ordnung der Güterbestätter 1627) erhöhte der Handelsvorstand die Sicherheit im Warenaustausch und verbesserte das Nürnberger Transportwesen. Eine weitere Verbesserung stellte der bargeldlose Giroverkehr für den Nürnberger Handel dar, den die Errichtung einer Giro- und Wechselbank, des Banco Publico, 1621 ermöglichte. 1767 veranlasste der Handelsvorstand die Neuordnung des Nürnberger Zollwesens.

Kontobücher des Banco Publico

Kontobücher des Banco Publico, Regalachse im Magazin des Stadtarchivs. Fotografie StadtAN 2015.

Gedrucktes Mandat der Ordnung des Nürnberger Mercantil- und Bancogerichts vom 21. Oktober 1697, Deckblatt

Gedrucktes Mandat der Ordnung des Nürnberger Mercantil- und Bancogerichts vom 21. Oktober 1697, Deckblatt (StadtAN A 6 Nr. 1398).

Der Banco Publico war dem Bancoamt als Aufsichtsgremium des Rats zugeordnet. Dieses schlichtete als Bancogericht Streitigkeiten über Wechsel und Zahlungen. 1697 entstand daraus das Mercantil- und Bancogericht als eigene Gerichtsinstanz des Nürnberger Rats, die nicht nur als Schiedsgericht in Nürnberger Kaufmannsangelegenheiten, sondern gutachterlich auch für auswärtige Handelsgerichte tätig wurde.

Das Nürnberger Mercantil- und Bancogericht entwickelte sich im frühen 19. Jahrhundert. zum Handelsgericht der Reichsstadt Nürnberg und wurde so im Laufe des 19. Jahrhunderts zur Keimzelle des bayerischen und deutschen Handelsgerichtswesens.

1563 hatte der Handelsvorstand vom Besitzer Conrad Unger (gest. 1594, Besitzer 1554-1590), einem Großhändler, in dessen Haus am (Herren-)Markt (Hauptmarkt 25) Räumlichkeiten für sein Marktgewölbe angemietet. Diese Situation blieb trotz zahlreicher Besitzerwechsel bestehen, das Obereigentum am Haus hatte die Patrizierfamilie Tucher inne. 1623 wurde das Haus um das Nachbargebäude in der Waaggasse erweitert. 1678 erwarb der Arzt Dr. Christian Halbach (gest. 1690) diesen Gebäudekomplex, den seine Witwe Anna Helena Halbach 1706 dem Handelsvorstand um die stattliche Summe von 8.600 Gulden verkaufte.

Dieser jetzige Dienstsitz der Industrie- und Handelskammer gehört bis heute dem Handelsvorstand, der im frühen 19. Jahrhundert als einziges Gremium der Reichsstadt personell und funktionell nahtlos in die bayerische Verwaltung eingepasst wurde. Wurde die 1843 errichtete Handelskammer noch als staatliche Konkurrenz betrachtet, so wurde der Handelsvorstand mit der 1853 geschaffenen Kreis-, Gewerbe- und Handelskammer Mittelfranken personell verzahnt und besteht bis heute in der Industrie- und Handelskammer Nürnberg für Mittelfranken weiter.

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