Fragt man nach Wendepunkten im Zweiten Weltkrieg, so fällt der Blick oft auf ein Einzelereignis und eine strategische Richtungsentscheidung der Alliierten. Wie keine andere operative Maßnahme des Landkrieges steht der Kessel von Stalingrad für die Überdehnung der Landnahmeversuche des Heeres, an deren Ende Rückzugsgefechte standen, die schließlich bis Berlin führten. Ebenso wichtig ist jedoch der Strategiewechsel der Alliierten Luftstreitkräfte hin zu Flächenbombardements (Area Bombing Directive), mit denen Anstelle einzelner strategischer Ziele in großem Umfang ganze Städte bombardiert wurden. Auch Nürnberg wurde Opfer solcher Angriffe. Der verheerendste von ihnen ereignete sich am 2. Januar 1945.
Bombenangriffe auf Nürnberg vor 1945
Bis 1942 war Nürnberg wie viele andere deutsche Städte auch von Luftangriffen weitgehend verschont geblieben. Dabei war die Stadt durch ihren hohen Industrialisierungsgrad Sitz zahlreicher kriegsrelevanter Industriebetriebe. MAN, wo unter anderem Dieselmotoren für U-Boote entstanden war nur der größte und vielleicht bedeutendste neben einer ganzen anderen Reihe von anderen Betrieben wie Siemens-Schuckert, Diehl oder die Nürnberger Werke der Motorradindustrie.
Seit 1943 jedoch nahmen die Angriffe stetig zu. Einige Male hatte die Stadt und die Menschen, die dort wohnten, bei britischen Angriffen Glück: So verhinderte am 25./26. Februar 1943 etwa eine dichte Wolkendecke einen präzisen Zielanflug und die meisten Bomben fielen ins Knoblauchsland. Am 31. März 1944 schossen im Bereich des sogenannten Kölner Lochs, einem durch Flak schlecht geschützten Bereich, den alliierte Bomber gerne zum Einflug nach Deutschland nutzten deutsche Nachtjagdflugzeuge einen Teil der Bomberflotte ab.
Am 3. Oktober 1944 sollte ein Angriff der Air Force der USA sich gegen das Firmengelände von MAN richten. Mehr als 450 Bomber flogen Richtung Nürnberg und wieder verhinderte eine dichte Wolkendecke einen präzisen Zielanflug. Stattdessen richtete schon dieser Bombenangriff irreparable Schäden in der Altstadt an. Der Weinstadel, das Viatishaus und das Bratwurstglöcklein wurden neben vielen anderen historischen Gebäuden Opfer der Flammen und Sprengladungen.
Der Angriff vom 2. Januar 1945
Der britische Bombenangriff vom 2. Januar 1945 jedoch sollte für die Zivilbevölkerung der Stadt alles bisher Erlittene in den Schatten stellen. Eine Bombenlast von insgesamt 2.300 Tonnen entlud sich über der Nürnberger Altstadt und forderte mehr als 1.800 Tote und 3.000 Verletzte. 100.000 Menschen wurden obdachlos angesichts der völligen Zerstörung von mehr als 4.500 Häusern. 12.000 weitere Gebäude wurden unterschiedlich stark beschädigt. Wenn auch ein nachfolgender Angriff vom 21. Februar mit mehr als 1.300 Todesopfern und 70.000 Obdachlosen noch einmal zumindest vergleichbar viele Opfer forderte, so war es doch der 2. Januar, der in Nürnberg zum Sinnbild und zum zentralen Gedenktag für die Schrecken des Bombenkrieges wurden.
In den nüchternen Worten einer Pressemitteilung des Air Ministry News Service wird der Angriff dabei so beschrieben: „The attack on Nuremberg was a return to the strategic bombing of German war industries, after a period in which Bomber Command has been almost entirely engaged in operations in close support oft he Allied armies, and in particular in attacks made to disorganise the German counter offensive.“ (Stadtarchiv Nürnberg: F5, Nr. 411).
Reaktionen aus der Nürnberger Bevölkerung
Ganz anders liest sich ein Bericht der Neuendettelsauer Diakonisse Betty Schwarz, die den Angriff als Betreuerin einer Jungengruppe in der Hegelkrippe miterlebte. Am 19. Februar schreibt sie, inzwischen aus Neuendettelsau, über die Nacht an den offensichtlich zumindest gut bekannten Pfarrer Ernst Wunderlich in Altenstein: „Mein lieber, guter Ernst! Heute sollst Du endlich – nach langer Zeit u. schweren Tagen – einen Erzählbrief bekommen.“ Was auf diesen recht herzlichen Briefbeginn folgt ist jedoch keine heitere Erzählung, sondern die Schilderung der Bombardements aus der Perspektive einer einzelnen Person:
„Durch Ida weißt Du ja von unserem Unglück, das war eine furchtbare Nacht und wie ein Gottes Wunder, daß wir überhaupt noch herauskamen. […] Frl. Stahl unsere Näherin und fünf unserer Kleinen waren Opfer dieser furchtbaren Katastrophe; drei der Kleinen sind noch in Nürnberg und vier der Kleinen sind hier noch ihren schweren Verbrennungen erlegen. Es krachte überall und so war unser Haus bald ausgebrannt und aus den Kellern brachten wir nichts, wir waren froh, daß wir noch rauskamen;“ (Beide Zitate aus: Stadtarchiv Nürnberg, F5 Nr. 454).
Auch wenn bis zum Kriegsende Verrat und Wehrkraftzersetzung geahndet wurden, löste sich bei vielen Menschen doch in der letzten Phase die Erstarrung, mit der die NS-Propaganda und die systemeigenen Unterdrückungsmechanismen die Meinung bestimmt hatten. In doppelter Hinsicht etwas mehr Distanz zu den Ereignissen hatte so Lisa Prey. Aus dem nicht betroffenen Stadtteil Eibach schrieb sie am 4.1.1945 an eine Korrespondenzpartnerin:
„In Eibach ist nichts passiert. Aber in der Stadt ist überall Verwüstung, Vernichtung. […] Jetzt glaube ich aber doch nichts mehr. Holz [Karl Holz (1895-1945), NSDAP-Gauleiter von Franken] hatte kurz vor Weihnachten noch gesagt: Wer jetzt seine Sachen gerettet hat, wird sie nicht mehr verlieren, im neuen Jahr kommt kein feindlicher Flieger mehr herein! Wenn das nicht wahr ist darf man ihn vom Podium herunterholen, wenn er wieder einmal sprechen wollte. Solche Schwätzer!“ (Stadtarchiv Nürnberg, E 1/2291 Nr. 3).
Soweit eine alliierte Pressemitteilung und zwei Stimmen aus der Bevölkerung. In Nürnberg war am 3. Januar 1945 keine Zeitung erschienen. Einen Tag später titelt die Nürnberger Tageszeitung mit „Frontgeist gegen den Terror“ und „Schwere Verluste der Nordamerikaner“. Erst am folgenden Freitag, dem 5. Januar und auf der dritten Seite nehmen „Anordnungen des Oberbürgermeisters der Stadt der Reichsparteitage“ Bezug auf die Ereignisse. Neben einigen Angaben zur Versorgungssituation steht im Kern der Seite jedoch auch hier ein Artikel „Trotz allem standhalten.“ (Stadtarchiv Nürnberg: F4 Ztg. 29)
Neben den Verbrechen der Nationalsozialisten steht heute auch die Strategie der Area Bombing Directive in der Kritik. Wohl auch unter dem Eindruck der Ereignisse aus der Endphase des Zweiten Weltkriegs wurde 1949 das Genfer Abkommen neu gefasst, nach dem auch solche Angriffe heute als Kriegsverbrechen gelten, alles mit dem Ziel, dass sich Ereignisse wie die vom 2. Januar 1945 nicht wiederholen mögen.