Das g'wappelte Schurzfell - Kriegsnagelung in Neumarkt i.d.OPf. 1916

Da legte sich der aus Parsberg gebürtige und erst kurz vor Beginn des Ersten Weltkriegs von München nach Neumarkt gezogene Pachtwirt Jakob Sußner Ende Januar 1916 so engagiert ins Zeug, in seiner neuen Heimat ein „Kriegswahrzeichen“, eine Figur des örtlichen Volkshelden, des Torschmieds Veit Joseph Jung, aufstellen und nageln zu lassen und dann musste er am 16. Februar das folgende Gedicht im Neumarkter Tagblatt lesen:

 

Das g’wappelte Schurzfell.

 

Der Torschmied im Himmel raucht sei Pfeif’n
Und tut nach seinem Leibblatt greif’n,
Um in einer g’mütlichen Wolkenecke zu lesen,
Was in Neumarkt denn neues gewesen.
Plötzlich haut er mit der Faust aufs Knie
Und fängt an zu schimpfen – aber wie!
Der heilige Petrus mit ernstem Gesicht
Droht mit dem Finger: „Hier flucht man nicht!“
„Was hat dich so außer Fassung gebracht?
Hab’ns s’Bier wieder teurer und dünner gemacht?“
Der Schmied drauf: „Da solls glei Franzosen hageln,
Jetzt wollns mir gar mei Schurzfell vernageln;
Mei rußig’s Fell, das ich ehrlich getragen,
Als ich half, den Feind aus der Stadt zu jagen.
A Wapperl drauf – na, das wär net schön!
Hast scho‘ mal a g’wappeltes Schurzfell g’sehn?
An Ruß und an Dreck von der Arbeit schon eh’r,
Aber an Adler – na, dazu geb i’s Fell net her!“
Da lachte Petrus und hielt sich die Seiten:
„Weißt, Torschmied, über den Geschmack läßt sich nicht streiten.
Ich wette, das gewappelte Fell steht Dir fein.
Wie die gestickte Schürz einem Jungfräulein!“
„Des kunnt mir grad passen“ brummte der Schmied,
Des Gezierte mochte ich niemals nit;
Denn sonsten wagte ich nicht mein Leben,
Den windigen Welschen den Laufpaß zu geben.
Und mit den Nageln laßt mir mei Ruh,
- höchstens hätt‘ i gern a paar g’nagelte Schuh.“
„Schmied“ – tröstet ihn Petrus – „du mußt dich nicht grämen,
Mußt dich nur beim Nageln in Obacht nehmen,
Sonst schlagens dir d’Nägel durchs Fell in d’Haxen,
Nacha bist mit’n Schurzfell zusammag’wachsen!“
„I dank schön, mein Liaber, dös fell tät mir passen,
Mei Schurzfell, mei ehrlichs, sollns gehen sei lassen,
Bin a einfacher Bürger und Handwerksmann,
Und brauch an mein Schurzfell ka Wapperl net dran.
Ja wär ich ein Ritter – meiner Treu,
Den Adler im Schild führt ich frank und frei!“
-- So sprach der Torschmied heftiger Weise.
Sankt Petrus nickte und lachte leise.

 

Maler und Bildhauer Johann Koller mit der Torschmied-Figur

Maler und Bildhauer Johann Koller mit der Torschmied-Figur

Jakob Sußner hatte bereits seit Kriegsbeginn die zur Gastwirtschaft zum grünen Baum gehörigen Tuchersäle für Wohltätigkeitsveranstaltungen zur Verfügung gestellt. Er war früh aktiv im „Komitee für Siegesfeiern“, aus dem sich am 31. Januar 1916 das „Komitee des Eisernen Torschmieds“ bildete. Man fand in der Figur des Torschmieds Veit Joseph Jung, der 1796 die von französischen Truppen besetzte Stadt den österreichischen Verbündeten geöffnet haben soll, die ideale Figur, stand man doch nun wieder verbündet mit Österreich gegen Frankreich im Krieg. Auch in dem neuen Komitee war Sußner die treibende Kraft. Er kümmerte sich um die Zustimmung der Regierung in Regensburg und der Stadtverwaltung für das Projekt. Doch meldeten sich auch kritische Stimmen. Bereits am 5. Februar hatte das Neumarkter Tagblatt einen Leserbrief veröffentlicht, in dem auf schlechte Erfahrungen anderer Städte hingewiesen und statt der barbarischen Nagelung einer menschlichen Figur wie eines Hindenburg, Landsturmmanns oder des Torschmieds von Neumarkt als Motiv das Stadtwappen vorgeschlagen wurde. Das Komitee äußerte nun am 13. Februar, es werde ja nur das Schurzfell genagelt, nicht die von dem Neumarkter Bildhauer Johann Koller geschaffene Figur des Torschmieds selbst. Diese Äußerung veranlasste dann unseren anonymen Poeten zu seinem Gedicht.

Festpostkarte zur Nagelung des Neumarkter Torschmieds 1916

Festpostkarte zur Nagelung des Neumarkter Torschmieds 1916

Das erweiterte Festkomitee bei der Nagelung am 24. April 1916 vor dem Neumarkter Rathaus

Das erweiterte Festkomitee bei der Nagelung am 24. April 1916 vor dem Neumarkter Rathaus

Das Komitee beriet sich noch einmal und gab dann nur den Sockel mit Wappen zur Nagelung frei, den Professor Heilmeier von der Kunstgewerbeschule in Nürnberg gestaltete. Den Stamm dazu hatte Herr Bürgermeister Feßmann in Weichselstein in „tiefempfundener patriotischer Gesinnung“ kostenlos gestiftet.

 

Am Ostermontag, den 24. April 1916, feierte die Neumarkter Bevölkerung mit vielen auswärtigen Gästen ihr „Kriegswahrzeichen“, dessen Nagelung zu Gunsten der freiwilligen Kriegsfürsorge an diesem Tag begann. Es herrschte zwar nicht eitel Sonnenschein, denn Regenwetter zwang, die geplante Feldmesse in die Stadtpfarrkirche zu verlegen, aber die kritischen Stimmen waren verstummt. Neumarkter Bürgerinnen und Bürger konnten nun ihre patriotische Gesinnung und Opferbereitschaft tatkräftig unter Beweis stellen.

Der Sockel des Neumarkter Kriegswahrzeichens im April 1916

Der Sockel des Neumarkter Kriegswahrzeichens im April 1916

Das wohl nach dem ersten Nagelungstag aufgenommene Foto zeigt, dass nur der Sockel, das Stadtwappen und die Jahreszahl genagelt wurden, die darauf stehende Figur des Torschmieds selbst wurde nicht genagelt. Man begann beim Nageln mit der Jahreszahl, den Konturen der Sockelverzierungen, aber auch der Adler im Stadtwappen erhielt erste Nägel im Bereich des Schnabels und - heraldisch gesehen - rechten Flügels.

An die Nagelung vor 100 Jahren, die – von Historikern inzwischen ins Reich der Legende verwiesene – Heldentat des Neumarkter Torschmieds Veit Joseph Jung und deren Nachleben, aber auch die Kriegsfürsorge allgemein wird in einer Ausstellung im Stadtmuseum Neumarkt erinnert. Ein kurzer Stummfilm zeigt die erste Nagelung in Wien am 6. März 1915.

 

Stadtmuseum Neumarkt, „Neumarkt im Ersten Weltkrieg – 1916: Der hölzerne Torschmied – ein alter Held im Dienst für Witwen und Waisen“, 2. März bis 22. Mai 2016, geöffnet jeweils Mittwoch bis Freitag und Sonntag von 14.00 bis 17.00 Uhr, Gruppenführungen buchbar unter Tel. 09181-2401, Eintrittspreis 2,00 Euro pro Person (mit Führung 3,00 Euro).

 

Quellen: Neumarkter Tagblatt Nr. 24 Dienstag, 1. Februar 1916, Nr. 25 Mittwoch, den 2. Februar 1916, Nr. 28 Samstag, den 5. Februar 1916, Nr. 35 Sonntag, den 13. Februar 1916, Nr. 37 Mittwoch, den 16. Februar 1916, Nr. 67 Mittwoch, den 22. März 1916.

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