… oder warum wir ein zerrissenes Telefonbuch archivieren.
Am 26.06.1960 weilte der als „Seeteufel“ bekannte Felix Graf von Luckner in Nürnberg. Der am 9. Juni 1881 in Dresden geborene Seeoffizier und Schriftsteller schlug in seiner Funktion als Tempelherren-Großmeister 31 Postulanten zu Rittern des souveränen Tempelherren-Ordens (Nürnberger Nachrichten, 25./26.06.1960).
„Nachdem der Konvent […] am Samstag in internen Besprechungen über aktuelle Probleme des Ordens erörtert hatte […] empfing am Sonntagvormittag das Stadtoberhaupt im Sitzungssaal des Rathauses die illustren Gäste der Stadt. In einer kurzen Aussprache, die den herzlichen Beifall der Ordensobersten fand, kennzeichnete Dr. Urschlechter Nürnbergs Tradition und Aufgabe: er wies auf den gemeinsamen Weg des Ordens und der Stadt auf der `Kaperfahrt des Herzens´ hin.
Graf Luckner zeigte sich danach gerührt und ´ergriffen von dem Geist des Bürgertums in dieser Stadt´. Während eines gemeinsamen Mittagessens im Heilig-Geist-Spital, an dem als Vertreter der Fraktionen auch die Stadträte Karl Widmayer (SPD) und Dr. Oscar Schneider (CSU) teilnahmen, wurde manches gute Gespräch geführt, und hier in geselliger Runde, ließ sich´s Großmeister Luckner auch nicht nehmen, seine beinahe legendär gewordene Kraftprobe zu zeigen: ungeachtet seiner 81 Lebensjahre zerriss er ohne sonderliche Mühe das Nürnberger Adreßbuch.“ (Nürnberger Nachrichten, 27.06.1960)
Das zerrissene, mit Widmung versehene, Adressbuch wurde dem Stadtarchiv Nürnberg als amtliche Abgabe vom Bürgermeisteramt (Bestand C 29 - Direktorium A) übergeben.
Graf von Luckner war zeitlebens als schillernde Persönlichkeit bekannt, hielt eine Vielzahl von Vorträgen und veröffentlichte zahlreiche Bücher unter seinem Namen (wofür er sich allerdings eines Ghostwriters bediente). Im Jahr 1953 wurde Luckner das Große Verdienstkreuz der Bundesrepublik Deutschland verliehen - sein zwiespältiges Verhältnis zum NS-Regime und Vorwürfe sexuellen Missbrauchs Minderjähriger waren der Öffentlichkeit zu dieser Zeit noch nicht bekannt.
Auch 56 Jahre später lockt das niemanden hinter dem Ofen hervor …