In der ZDF-Sendung Terra X, die für ihre Dokumentationen aus den Bereichen Geschichte, Natur und Tier bekannt ist, wurde 2024 eine Folge über den Nürnberger Nachrichter Frantz Schmidt (~1555-1634) ausgestrahlt. Die Figur des Henkers von Nürnberg gibt interessante Einblicke in die Tätigkeit im 16. Jahrhundert und ist eine wichtige Quelle für die Rechts- und Sozialgeschichte. Terra X hat sich des Themas angenommen und eine Dokumentation mit Spielszenen gedreht.
Die Dokumentation gibt grundsätzlich einen guten Einblick in das Nachrichteramt und das Leben von Frantz Schmidt. Gezeigt werden die Originalabschrift des Tagebuchs aus den Beständen der Nürnberger Stadtbibliothek, Interviews mit Expertinnen und Experten und historische Örtlichkeiten (z. B. die Lochgefängnisse) werden gezeigt. Die historischen Spielszenen mit Darstellerinnen und Darstellern haben einige gute Aspekte (z. B. die Hauben der Damen). Grundsätzlich erfahren die Zuschauerinnen und Zuschauer wichtige Informationen zur Person und zum Amt.
Die Dokumentation enthält aber auch schwierige Aussagen, die ein verzerrtes Geschichtsbild vermitteln. Insbesondere die gezeigten, vermutlich mit künstlicher Intelligenz (K.I.) generierten Bilder eines vermeintlichen Bettlers, von Patriziern und Handwerkern etc. verlassen die historische Dokumentation und wechseln in den Bereich der Phantasie.
Insbesondere das Bettler-Bild steht im Kontext der Aussage von der Ausgrenzung des Henkers. Die Aussage ist sehr offen gehalten, ohne weitere Erklärung. Die folgende vermutlich K.I.-generierte Darstellung eines Bettlers, eines Schäfers und einer Person, die vermutlich Notdurft in Eimern mit sich führt, soll den Henker als unehrlich und außerhalb der Gesellschaft stehend darstellen.
Abb. 1 - Terra X History: Ein Tag in Nürnberg 1593 – Der Scharfrichter Frantz Schmidt, 13. Oktober 2024, Minute 01.09.
Dieses Bild ist jedoch schief. Unehrlich meint hier den Ausschluss des Henkers aus den Zünften. Unehrliche Personen waren in ihrem Stand „gefangen“, d. h. sie konnten nicht den Beruf wechseln oder ihre Kinder in ehrliche Familien einheiraten. Sie unterlagen damit einer gesellschaftlichen Diskriminierung. Armut spielte in Nürnberg allerdings keine Rolle: Als städtischer Angestellter hatte der Nachrichter in Nürnberg ein ordentliches Auskommen mit eigener Wohnung und Badstube („Henkershaus“).
Abb. 2 - Terra X History: Ein Tag in Nürnberg 1593 – Der Scharfrichter Frantz Schmidt, 13. Oktober 2024, Minute 09.59.
Später folgt eine weitere Szene mit vermeintlich K.I.-generierten Bildern. Sie zeigen nun vermutlich Patrizier und Handwerker – die ehrbaren Berufe. Auch hier werden die Bilder zur Fiktion. Statt gute, zeitgenössische Bildquellen zu zeigen, z. B. aus den Hausbüchern der Mendelschen Zwölfbrüderstiftung, wo Handwerker in zeitgenössischer Kleidung abgebildet sind, erzeugen die Macherinnen und Macher der Dokumentation mit den K.I.-Bildern falsche Vorstellungen von der Geschichte. Die historische Glaubwürdigkeit droht Schaden zu nehmen, wenn durch K.I. lediglich gängige – und oft falsche – Vorstellungen über das Mittelalter und die Frühen Neuzeit reproduziert werden, ohne dass deren historische Richtigkeit überprüft wird.
Die K.I. generiert, kurz gesagt, Inhalte mit sogenannten Befehlen aus umfangreichen, öffentlich zugänglichen Informationen. Die K.I. erstellt und verknüpft Inhalte, ohne deren Richtigkeit zu überprüfen. Je mehr Informationen vorhanden sind (z. B. die Information „Bettler sind arm“), desto wahrscheinlicher ist es, dass das Bild eines Bettlers eine ärmlich gekleidete Person zeigt. Werden nun Henker und Bettler im gleichen Sinne genannt, weil sie z. B. als unehrliche Berufe gelten, so wird das K.I.-generierte Bild eines Henkers eher einen armen Mann zeigen.
Solche Aussagen wiederholen und verfestigen falsche Vorstellungen, zugunsten von Unterhaltung und Dramatisierung. Der Bildungsauftrag der medialen Dokumentation geht dadurch teilweise verloren. Der zunehmende Anteil von K.I.-generierten Inhalten in historischen Dokumenten ist mit Sorge zu betrachten. Hier spielt auch der finanzielle Aspekt eine Rolle: K.I.-generierte Inhalte sind billig! Aufwändige Recherchen und Besuche vor Ort entfallen und schonen das Budget. Richtig eingesetzt, kann K.I. eine Unterstützung für die Archiv- und Geschichtswissenschaft sein. In der beschriebenen Form schadet sie jedoch nur der historischen Glaubwürdigkeit und fördert die Verbreitung falscher Vorstellungen.
Weiterführende Literatur zum Thema:
Die Henker von Nürnberg und ihre Opfer. Folter und Hinrichtungen in den Nürnberger Ratsverlässen 1501 bis 1806. Mit einer Einführung in die Quellen zur Nürnberger Kriminalgeschichte von Horst-Dieter Beyerstedt und einem Beitrag zum Strafrecht der Reichsstadt Nürnberg von Hartmut Frommer. Hrsg. von Michael Diefenbacher. Aus den Archiven zusammengestellt von Friedrich von Hagen. Aus dem Nachlass bearbeitet von Manfred H. Grieb. Selbstverlag des Stadtarchivs Nürnberg, Nürnberg 2010 (Quellen und Forschungen zur Geschichte und Kultur der Stadt Nürnberg, Bd. 35)
Harrington, Joel F.: Die Ehre des Scharfrichters. Meister Frantz oder Ein Henkersleben, München, 2014.
Schulz, Knut: Die Freiheit des Bürgers. Städtische Gesellschaft im Hoch- und Spätmittelalter, Darmstadt 2008.