Gastbeitrag von Bernd Siegler, Club-Historiker und Archivar des 1. FCN
In vielem ist Max Morlock vom 1. FC Nürnberg einzigartig und unerreicht, vieles ist für heutige Verhältnisse unvorstellbar, dennoch wollte er nach eigenen Aussagen weder ein Star sein, noch ein Held. Er war ein Kind seiner Zeit, die vom Nationalsozialismus, dem Zweiten Weltkrieg, dem Wiederaufbau bis zum Wirtschaftswunder und dem „Wunder von Bern“ reichte.
Am 11. Mai 1925 um 3:45 Uhr erblickt Max Morlock im Städtischen Wöchnerinnenheim in der Veilhofstraße das Licht der Welt. Der 1. FC Nürnberg ist zu der Zeit schon Rekordmeister und feiert gerade sein 25-jähriges Jubiläum. Die Nationalsozialisten sind nach der Wiederzulassung der NSDAP im Februar 1925 im Aufwind, der „Stürmer“ hetzt Woche für Woche gegen die Juden.
Vater Max Adam Morlock arbeitet als Werkmeister bei der Firma Wenglein, die mit ihren Grammophonnadeln in der ganzen Welt bekannt ist. Mutter Frieda stammt aus einfachen Verhältnissen. Ihr Vater, ein Tagelöhner, starb als sie drei Jahre alt war. Mit den drei Söhnen Robert, Max und Herbert lebt die Familie Morlock in einem kleinen Hinterhaus in der Schloßstraße 51 in Gleißhammer.
Die drei Buben stromern durch die Gegend zwischen Baggerloch, Goldbach und Gaulschwemme in der Tullnau und in jeder freien Minute spielen sie „Kellerfenstern“, eine Art Fußball mit Kellerfenstern als Tore. Im Winter wird auf dem zugefrorenem Zeltnerweiher Eisfußball gespielt, die „Königin aller Sportarten“, so Morlock später.

Sein Talent wird schnell entdeckt, spätestens als der elfjährige Max 1936 mit der Scharrerschule Schulmeister wird. Über Eintracht Nürnberg geht es im Mai 1940 zum 1. FC Nürnberg. Schon mit 16 Jahren schafft er im November 1941 den Sprung in die erste Mannschaft. Morlocks Spezialität sind Kopfbälle. Mit 1,70 m Körpergröße meist der Kleinste auf dem Platz, springt er im entscheidenden Moment am höchsten und wuchtet den Ball per Kopf ins gegnerische Tor.
Im Februar 1943 lädt Reichstrainer Sepp Herberger das Nürnberger Ausnahmetalent zu einem Lehrgang der Nationalmannschaft ein. Ein halbes Jahr später wird Morlock zur Wehrmacht einberufen, dann geht es für ihn ins besetzte Dänemark und später in die Tucheler Heide im Norden von Polen. Während sein Vater und mehrere Mitspieler beim Club in die NSDAP eintreten, widersteht Max Morlock diesem Schritt. Im Herbst kommt er nach kurzer Kriegsgefangenschaft bei den Briten und den US-Amerikanern in das von den Bombenangriffen verwüstete Nürnberg zurück.
Schon bald nach Kriegsende rollt der Ball wieder, und Morlock ist beim Start der Oberliga Süd Ende November 1945 dabei – meist auf seiner Lieblingsposition als halbrechter Stürmer. Meist ist er jedoch überall zu finden, manchmal auch im Tor. Er kurbelt das Spiel an, hilft in der Verteidigung aus und schießt Tor um Tor.

Er arbeitet zunächst als Mechaniker bei Noris Zündlicht und später als Berufskraftfahrer. 1948 ist er einer der Besten auf dem Platz, als der 1. FC Nürnberg mit einem 2:1-Sieg über den 1. FC Kaiserslautern erster deutscher Nachkriegsmeister wird. Mit einem Laden für Zigarren und einer Toto-Annahmestelle am Celtisplatz baut er sich die für einen „Vertragsspieler“ damals erforderliche berufliche Existenz auf. An Pfingsten 1950 heiratet er die Tochter seines Kompagnons Johann Weiß. Im November 1950 macht er sein erstes von insgesamt 26 Länderspielen.

Morlock erhält hochdotierte Angebote aus Italien. Die lehnt er ebenso ab wie Versuche der Stasi, ihn zum Übertritt in die DDR zu bewegen. Er wird 1954 Weltmeister und ebnet mit seinem Anschlusstor im Finale gegen die hoch favorisierten Ungarn den Weg für das „Wunder von Bern“.

Max Morlock ist stolz auf seine Familie, die er nach Geburt seiner Töchter Ursula 1951 und Birgit 1959 „Dreimäderl-Haushalt“ nannte. Bei zwei Tourneen des 1. FC Nürnberg durch die USA 1953 und 1955 bekommt er einen Vorgeschmack auf das Wirtschaftswunder. 1956 bezieht er sein Eigenheim in der Eisvogelstraße in Zerzabelshof. Architekt des Hauses ist Franz Ruff, der schon für die Nationalsozialisten die Kongresshalle und die SS-Kaserne entworfen hatte.
1961 wird Max Morlock als 36-jähriger Leitwolf der „junge Wilde“ genannten Club-Elf erneut Deutscher Meister mit dem 1. FC Nürnberg. Auch in der 1963 neu geschaffenen Bundesliga macht er seine Tore. Im Mai 1964 beendet er mit 39-Jahren seine Karriere als Fußballer.

Insgesamt spielt er 900 Spiele für ein und denselben Verein. Über 22 Jahre kickt er dort in der ersten Mannschaft. Er ist der einzige Spieler, der in der Gauliga, in der Oberliga und auch in der Bundesliga auf dem Platz steht. Er ist als einziger in den insgesamt 18 Jahren der Oberliga Süd dabei. Er läuft im allerersten Spiel am 4. November 1945 auf, aber auch im letzten am 28. April 1963. Insgesamt schießt er in der Oberliga in 456 Begegnungen stolze 286 Tore.
In vielem ist Max Morlock einzigartig, dennoch will er nach eigenen Aussagen weder ein Star sein, noch ein Held. Wenn andere ihn charakterisieren, dann sprechen sie stets von großer Bescheidenheit, unbeirrbarer Bodenständigkeit, unermüdlichem Fleiß, harter Arbeit, kämpferischer Dynamik und trockenem Humor.
Vom Straßenfußballer wird er zum Weltmeister in einer Zeit, die zunächst vom Nationalsozialismus und vom Zweiten Weltkrieg geprägt war, dann von Hunger und Entbehrung in der Phase des Wiederaufbaus und schließlich vom so genannten Wirtschaftswunder in den 1950er und 1960er Jahren. Max Morlock ist ein Kind dieser Zeit und verinnerlicht deren Werte. Sein Toto-Lotto-Geschäft ist sein Ein und Alles, er liebt seine Frau und macht sich selbst noch am Vorabend des WM-Finales Gedanken, ob er sie wirklich glücklich machen könnte. Er erfüllt seinen beiden Töchtern nahezu jeden Wunsch und er verwirklicht seinen Traum vom eigenen Häuschen mit Swimming-Pool im Garten. Er pflegt Geselligkeit bei Bier und Wein, zu ihm kann jeder kommen, ohne Anmeldung.
Trotz seiner Ausnahmestellung steht Morlock in der öffentlichen Wahrnehmung nicht in vorderster Linie. Wenn vom „Wunder von Bern“ die Rede ist, dann fallen in der Regel drei Namen: Bundestrainer Sepp Herberger, Kapitän Fritz Walter und Siegtorschütze Helmut Rahn. Der in der Qualifikation, in der Endrunde und auch im Finale treffsichere Morlock fehlt meist in solchen Aufzählungen, obwohl Sepp Herberger und auch Fritz Walter ihn als den „wichtigsten Mann auf dem Platz“ bezeichnet haben.
Aus Uwe Seeler wurde „Uns Uwe“, aus Franz Beckenbauer der „Kaiser“, Sepp Herberger war der „Chef“, Fritz Walter der „alte Fritz“ und Helmut Rahn der „Boss“. Und Max Morlock? Er war immer einfach „der Maxl“, auch für die Medien, zu denen er beste Kontakte unterhielt und für die er für jede Homestory bereit war.

Von Max Morlock gibt es in Nürnberg ein Denkmal, ein Platz ist nach ihm benannt, und der 1. FC Nürnberg trägt seine Heimspiele im Max-Morlock-Stadion aus. Und jetzt auch ein Buch, das die Höhenflüge dieser außergewöhnlichen Persönlichkeit schildert und lebendig werden lässt – auch dank der Recherchemöglichkeiten im Stadtarchiv Nürnberg, im Staatsarchiv Nürnberg, im DFB-Archiv und im Bundesarchiv Berlin.
(Bernd Siegler: „Max Morlock – Hoch hinaus“, Fürth 2024, 528 Seiten, 216 Abbildungen, 32 Euro)
