Kriegsgefangenentschädigungsakten im Stadtarchiv Nürnberg
Das Stadtarchiv Nürnberg hat am 05.05.2022 vom Sozialamt der Stadt Nürnberg Akten über die Entschädigung deutscher Kriegsgefangener zur Archivierung übernommen (Archivbestand C 25/IV).
Zunächst auf Basis des Heimkehrergesetzes (HkG) vom 19.05.1950 und seit 30.01.1954 mit dem Kriegsgefangenenentschädigungsgesetz (KgfEG) erhielten Deutsche, die nach dem 31.12.1946 aus ausländischem Gewahrsam zurückkehrten, Leistungen für jeden seit dem 01.01.1947 in Gewahrsam verbrachten Kalendermonat.
Beim städtischen Fürsorgeamt, Abteilung Versehrten- und Hinterbliebenenfürsorge / Kriegsgefangenenentschädigung (Fs/4-KgfE), wurde die für das Gebiet der Stadt Nürnberg zuständige KgfEG-Festsetzungsbehörde errichtet, die im Zeitraum 1954-1992 insgesamt 24.664 Einzelfälle bearbeitete.
Anspruchsberechtigt waren ehemalige Kriegsgefangene, nicht jedoch Personen, die nach dem 08.05.1945 von deutschen Gerichten zu einer Zuchthausstrafe verurteilt worden waren oder die der nationalsozialistischen oder einer anderen Gewaltherrschaft in verwerflicher Weise Vorschub geleistet hatten.
Nachdem es sich bei den Kriegsnachfolge- und Spruchkammerurteilen jedoch nicht um Verurteilungen deutscher Gerichte handelte, kamen – wie der Fall Leo Petri zeigt – auch zahlreiche SS- und Wehrmachtsangehörige, die von den Alliierten als Kriegsverbrecher verurteilt wurden, in den Genuss von Kriegsgefangenenentschädigungsleistungen.
Kriegsgefangenenentschädigung für Leo Petri
Der hochrangige SS-Angehörige (SS-Gruppenführer & Generalleutnant der Waffen-SS im persönlichen Stab des Reichsführers SS Heinrich Himmler) Leo Heinrich Petri (* 20.10.1876 Gleiwitz, + 5.5.1961 Nürnberg) wurde nach eigenen Angaben am 4. Mai 1945 im „Hotel zur Post“ in Schönberg im Stubaital/Tirol festgenommen und durch das US-amerikanische Militär in verschiedenen Lagern inhaftiert. Zuletzt saß Petri im Barackenlager Nürnberg-Langwasser ein, das die Alliierte Militärregierung für die Inhaftierung zahlreicher SS-Angehöriger verwendete.
Petri wurde am 23.03.1949 aus der Internierungshaft entlassen und beantragte am 12.03.1957 Entschädigung für seine Kriegsgefangenschaft durch die US-amerikanische Militärregierung.
Der Vorgang dokumentiert auf Einzelfallebene den bekannten, aber dennoch immer wieder bemerkenswerten, wohlwollenden Umgang der deutschen Nachkriegsverwaltung (hier ab 1954) mit NS-Kriegsverbrechern.
So wurde Petri z. B. durch Spruch der Berufungskammer Nürnberg, III. Senat vom 24.02.1949 erneut als „Hauptschuldiger“ beurteilt (die Arbeitslagerhaft wurde jedoch auf 2,5 Jahre ermäßigt, die Haftentlassung erfolgte am 23.03.1949); trotz dieser Umstände und obwohl bei der Fürsorgeverwaltung (Fs 4/KgfE) ausreichende Informationen zu Petris hochrangiger Funktion in verschiedenen Führungspositionen der SS vorlagen, konnte dieser 1957 glaubhaft machen, dass er z. B. der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft nicht in verwerflicher Weise Vorschub geleistet hätte (Ausschlussgrund nach § 8 Abs. 1 Zf. 1 KgfEG) und außerdem nach dem 08.05.1945 [von deutschen Gerichten] zu keiner Zuchthausstrafe verurteilt wurde (Ausschlussgrund nach § 8 Abs. 1 Zf. 3 KgfEG).
Die städtische Fürsorgeverwaltung (Fs 4/KgfE) vermerkt zu dieser Erklärung im Juli 1957, dass Petri zwar unbestritten Angehöriger der Waffen-SS gewesen sei, er jedoch keiner im Fronteinsatz stehenden SS-Einheit angehört hätte. Trotzdem sei er eindeutig der Waffen-SS zugehörig gewesen, weshalb daher zu unterstellen sei, dass es sich bei der Internierung durch die US-Streitkräfte tatsächlich um eine Kriegsgefangenschaft gehandelt habe.
Diese Kriegsgefangenschaft endete laut Vermerk von Fs 4/KgfE erst ab dem Zeitpunkt, von dem ab deutsche Stellen befugt waren, über die Entlassung zu entscheiden. Als entschädigungsfähige Zeit sei damit der Zeitraum nur bis 30.09.1948 anzurechnen.
Die entsprechenden Versagungsgründe seien außerdem nicht einschlägig, da doch die Berufungskammer München – 1. Senat Blitz –, den Spruch vom 19.10.1948 aufgehoben hätte (Verfahrenseinstellung nach § 1 des Gesetzes zum Abschluss der politischen Befreiung vom 27.7.1950) und Petri außerdem keine Zuchthausstrafe nach dem 8.5.1945 zu verbüßen hatte.
„Ziffer 3 a.a.O. [Zuchthausstrafe wegen vor dem 8.5.1945 begangener Verbrechen] ist überhaupt nicht einschlägig, da eine Verurteilung durch ein deutsches Gericht nie erfolgte.“
Offenbar sollte die Entscheidung über die Gewährung der Kriegsgefangenenentschädigung für die Kriegsgefangenschaft im Zeitraum 4.5.1945 – 30.09.1948 zunächst nicht vom Leiter der Amtlichen Fürsorgestelle selbst, sondern vom Feststellungsausschuss getroffen werden, da dem Antrag nicht vollumfänglich stattgegeben werden konnte (für den Zeitraum ab 1.10.1948 stünden keine Entschädigungszahlungen zu).
Der Feststellungsausschuss konnte letztlich doch umgangen werden, da der Antragsteller einer Entschädigung in Höhe von 630 DM zugestimmt hatte.
Leo Petri, der keine Angehörigen oder Verwandten hatte, konnte offenbar trotz der gewährten Entschädigung in Höhe von Einmalig 630,-- DM und trotz der für 1957 sehr beachtlichen Pension in Höhe von monatlich 660,-- DM nach der Haftentlassung offenbar nicht mehr richtig Fuß fassen. Seine „Berliner Wohnung war total ausgebombt“, sodass er freiwillig zunächst noch weitere sechs Jahre in der Barackenunterkunft Langwasser verbrachte, bevor er zuletzt in der Bayreuther Str. 10 wohnte und am 05.05.1961 im Alter von 84 Jahren in Nürnberg verstarb.